Prag war in den 90er-Jahren für viele junge amerikanische Temporär-Auswanderer eine Traumstadt: schön, unkompliziert, billig.

Foto: Willi Kozanek

Madeleine und David leben seit drei Jahren in Prag. Nächste Station: Hongkong.

Foto: Willi Kozanek

Wenn man dieser Tage ins "Blind Eye" will, muss man Glück haben. Der Club, der in der Vergangenheit Treffpunkt für Expats* und Einheimische, die Expats kennenlernen wollten war, ist nur noch unregelmäßig geöffnet. Das "Blind Eye" bzw. seine Betreiber hatten Probleme mit der tschechischen Bürokratie und wirken ein wenig müde. Sie stehen symptomatisch für die amerikanischen Mittzwanziger bis Mittdreißiger in Prag - sie haben den Elan verloren und kämpfen mit der Bürokratie: Beim "Blind Eye" sind es Beschwerden über zu viel Lärm spätnachts, bei den Amerikanern sind es Probleme mit der Fremdenpolizei.

Prag war mal Paris

Anfang der 90er-Jahre lebten schätzungsweise 30.000 bis 40.000 Amerikaner in Prag. Viele von ihnen kamen um Englisch zu unterrichten und ein paar unbeschwerte Monate oder Jahre in der tschechischen Hauptstadt zu verbringen. Vergleichbar mit dem europäischen "Erasmus-Semester-Lebensgefühl", in dem man ein wenig über das Land lernt, viele neue Leute trifft und sehr viel ausgeht, fanden die English Business Teacher hier ihr "time of my life". Prag in den 90er wurde unter den jungen Amerikanern mit Paris in den 20er-Jahren verglichen: Es war günstig dort zu leben und die jungen Lehrer verdienten genug um sich ein unbeschwertes Leben einzurichten, das sie sich zuhause nicht hätten leisten können. Dieses Leben war immer auch ein wenig Parallelgesellschaft. Bücher wurden in "The Globe" oder "Shakespeare and Sons" gekauft, der Kaffee im "Meduza" getrunken, American Football im "Jáma" geschaut und ausgegangen wurde eben im "Blind Eye". Viele Amerikaner hatten nicht das Bedürfnis Tschechisch zu lernen, man kam mit ein paar Brocken durch und eine dauerhafte Niederlassung hatten nur die wenigsten im Sinn.

It's easier to leave than to be left behind

Heute leben nur noch ungefähr 3000 Amerikaner in Prag. David und Madeleine sind zwei von ihnen. Ursprünglich wollten sie auch nur ein paar Monate bleiben. Mittlerweile sind es drei Jahre geworden und dem Business-English-Lehrer aus Buffalo und der 25-jährigen Kindergärtnerin fällt die Vorstellung wegzugehen ziemlich schwer: "Prag ist Heimat geworden", sagen sie, David ist eingefleischter Bohemians-Prag-Fan, er sieht sich jedes Heimspiel an und besucht einen Tschechisch-Sprachkurs. Trotzdem wollen die beiden im Sommer wegziehen. "Wir fühlen uns zurückgelassen hier. Kaum hat man Freunde gewonnen, sind sie schon wieder weg. Jeder Expat weiß anscheinend schon bei seiner Ankunft hier, was er nach seinem Abschied aus Prag in ein paar Monaten machen will.", erklärt die Engländerin Madeleine. Außerdem seien die Aufstiegs- und Karrierechancen als Business-English-Lehrer beschränkt bis nicht vorhanden. David meint, dass er in Prag immer noch glücklich ist, er will irgendwann aber die Karriereleiter hochsteigen und das sei in Prag nur möglich, wenn man selber eine Sprachschule aufmacht.

Schauergeschichten

Seit einiger Zeit ist das unbeschwerte Expat-Lebensgefühl in Prag von Schauergeschichten über die Prager Fremdenpolizei getrübt. Jeder Lehrer kennt jemanden, der jemanden kennt, dessen Visum nicht verlängert wurde oder der sogar abgeschoben worden ist. "Seit dem Schengen-Abkommen ist es für Nicht-EU-Ausländer viel komplizierter hier zu sein.", meint David. Man hört, dass bei der Fremdenpolizei kaum jemand Englisch spricht oder oder es sprechen will und die Zeiten, in denen man ohne Stress mit einem abgelaufenen Visum in Prag lebte, weil sowieso niemand Interesse hatte den Status zu überprüfen, seien längst vorbei.

Neue Expat-Ziele

Die Amerikaner in Prag waren und sind eine besondere Gruppe von Einwanderern. Angezogen von einer tollen Stadt, viel Kultur, guten Arbeitsmöglichkeiten und Bier für umgerechnet einem Euro kamen sie zahlreich in die "Goldene Stadt". Bei den Tschechen, vor allem bei der jüngeren Generation, waren sie sehr willkommen, brachten sie oftmals doch auch Geschäftsideen nach Prag und erweiterten die Club-, Bar- und Restaurantszene. Trotzdem kapselten sie sich ebenso wie andere, klassischere, Einwanderergruppen in gewisser Weise auch ab. Viele haben auch nach einigen Jahren in Prag keine tschechischen Freunde gefunden, was sie unter anderem der tschechischen Unnahbarkeit anlasten. Viele haben es vermutlich auch nicht wirklich versucht. Zu verlockend und angenehm war es in der "Expat-Blase" zu bleiben. Tagsüber unterrichten, abends mit anderen Lehrern in einen Biergarten oder ins "Blind Eye" und am Wochenende zwischen Kaffeehaus, Restaurant und Club pendeln. Die Expats wissen aber, dass ihr Lebensstil nicht nur in Prag funktioniert und suchen sich heute andere Destinationen. David und Madeleine wollen im Sommer nach Hongkong übersiedeln: "Sie werben aktiv Englischlehrer an und für uns wäre es eine neue Herausforderung." David meint aber, dass er seine geliebte "Bohemka" vermissen wird.