Die Weltpresse beschäftigt sich mit einem neuen Gesellschaftsspiel: Welches Euroland wackelt als nächstes? Wie schnell breitet sich die neue Seuche der Finanzkrise aus? Dass die Ansteckungsgefahr in der Eurozone der 16 Staaten groß ist, hat der Regierungschef Portugals, des mutmaßlich nächsten Hilfskandidaten, offen zugegeben.

Laut Ministerpräsident Jose Sokrates benötige Portugal keine Hilfe; er hoffe, dass die Beruhigung der Märkte nun andauere, denn Portugal sei Gefahr gelaufen,von der irischen Krise "angesteckt" zu werden. Auch der Sprecher des EU-Währungskommissars Rehn sagte, die Hilfsentscheidung zugunsten Irlands sei auch dazu bestimmt, jedwede Ansteckungseffekte für andere Volkswirtschaften des Euroraums und der EU zu stoppen.

Gerade der Fall des so lange hoch gelobten "keltischen Tigers" sollte allerdings ein Warnzeichen sein. Der irische Premier hatte vor einigen Wochen behauptet, eine Rettung durch die EU sei nicht nötig. Dazu der kritische, irische Ökonom David McWilliams: "Er hat wohl eingesehen, dass wir pleite sind, aber seine Worte sind typisch für diese Regierung, die uns seit Jahren anlügt."

Die vorgezogenen Parlamentswahlen in Irland sind freilich die direkte Folge einer doppelten - finanziellen wie politischen - Krise. Nach dem Aufstieg der grünen Insel zu einem der reichsten EU-Länder muss diese nun Unterstützung von Staaten erhalten, deren Bürger weit unter dem irischen Wohlstandsniveau leben. Das Pro-Kopf-Einkommen der Iren lag 2009 noch rund ein Viertel über dem EU-Durchschnitt. Ein enormer Bau- und Immobilienboom brach nach zwei Jahren zusammen. Mit einem gewaltigen Schuldenstand (105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) ist die Lage potenziell so gefährlich, dass selbst die Briten und die Schweden, die nicht dem Eurosystem angehören, Irland Hilfe angeboten haben. Ausländische Banken halten 731 Milliarden Euro Forderungen gegenüber Irland.

Die Rettung Irlands dürfte trotz der großen Zusagen nur ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben. Geraten früher oder später doch Portugal und vielleicht auch Spanien ins Visier der Spekulanten? Man weist oft darauf hin, dass Griechenland, Irland und Portugal zusammen nur sechs Prozent der europäischen Wirtschaft ausmachen. Anders liegen die Dinge aber wohl, wenn Spanien mit 11 Prozent Anteil an der Eurozone auch stolpern sollte. Viele Fragen sind offen: Werden Irland und Griechenland die Schulden je zurückzahlen können? Werden ihre Bürger die Gürtel so eng schnallen, dass sich beide Staaten nach ein paar Jahren wieder allein finanzieren können?

Die so lange gehegten Hoffnungen, dass der Euro die europäische Gemeinschaft zusammenschweißt, haben sich nicht erfüllt. Die zunehmend unterschiedliche ökonomische Entwicklung der Eurostaaten erweitert die Kluft zwischen Weichwährungsländern und stabilitätsorientierten Ländern wie Deutschland, Holland und auch Österreich. Inmitten der periodisch wiederkehrenden Hysterie von Märkten und Medien erleben wir offene oder versteckte Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen. Niemand weiß, wo die Grenze der Belastbarkeit liegt und wie es mit dem Euro weitergeht. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2010)