Itamar Rabinovich: "Es ist ein Unterschied, ob wir den Iran im Nordosten der Region oder direkt an unseren Grenzen haben."

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Für Israel und die USA wäre ein Friedensschluss mit Syrien nur dann interessant, wenn Damaskus seine Politik neu ausrichten würde, sagt der israelische Diplomat und Syrien-Experte Itamar Rabinovich zu Gudrun Harrer.

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STANDARD: Über Syrien spricht man von israelischer Warte aus in zwei sehr unterschiedlichen Kontexten: einerseits mögliche Friedensverhandlungen, andererseits Krieg.

Rabinovich: Bashar al-Assad positioniert sich so ähnlich wie (Ägyptens Präsident) Sadat 1971: Ich bin bereit, über Frieden zu reden, aber ich bereite mich auch auf Krieg vor. Er geht dabei Abenteuer ein wie das mit Nordkorea, um an einen Atomreaktor zu kommen. Bei Krieg denken die Syrer nicht notwendigerweise an einen konventionellen Krieg, sondern an das riesige Raketenarsenal - 40.000 Stück, doppelt so viel als 2006 vor dem Krieg -, das die Iraner der Hisbollah im Libanon aufgebaut haben. Das ist ihre stärkste Karte.

STANDARD: Einen konventionellen Krieg würde Syrien gegen Israel auch schwerlich gewinnen.

Rabinovich: Ja, es gibt diesen Wandel hin einerseits zu einem niederschwelligen asymmetrischen Guerilla-Krieg, in dem Israel nur schwer zurückschlagen kann, und zweitens zur Entwicklung von Raketen, die israelische Städte treffen können. Syrien hat seine eigenen Raketen, plus die von Hizbollah und Hamas. Und dann noch die des Iran und eines zukünftigen iranischen Atomarsenals.

STANDARD: Dann würde Syrien unter Irans nuklearem Schirm sitzen.

Rabinovich:Es muss gar nicht sein, dass die Iraner die Atomwaffen verwenden. Es ist falsch zu glauben, dass ein iranisches Nukleararsenal nur ein israelisches Problem wäre. Der Iran könnte viel Unheil anrichten am Golf - und es würde keine Wiederholung von 1991 (der Krieg, um Saddam Hussein aus Kuwait hinauszuwerfen) geben, wenn die Iraner Bahrain oder Kuwait besetzen würden.

STANDARD: Die Erwartung, dass ein neuer Krieg mit der Hisbollah auch auf Syrien ausgeweitet würde, besteht zu Recht?

Rabinovich: 2006 hat US-Präsident Bush signalisiert, dass er nichts dagegen hätte, wenn Israel Syrien angreift. Es läuft da ja tatsächlich etwas fundamental falsch: Bei einer neuen Konfrontation würden viele unschuldige Libanesen und Israelis sterben. Aber die Anstifter sitzen in Damaskus und in Teheran.

STANDARD: Und die Friedensaussichten, wie realistisch sind die?

Rabinovich: Die Sache besteht aus zwei Teilen: Da ist der direkte israelisch-syrische und das größere Bild. Ein Friede sollte laut USA und Israel Teil eines größeren Pakets sein, in dem sich Syrien neu orientieren würde, weg vom Iran. Die Syrer sagen natürlich, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat: Wir sind ein souveränes Land, ihr könnt nicht unsere Außenpolitik diktieren, wir werden einen Friedensvertrag unterzeichnen, gebt uns den Golan zurück. Aber weder Jerusalem noch Washington hat Interesse an einem Deal, der nicht eine syrische Reorientierung beinhaltet.

STANDARD: Was hat Syrien davon?

Rabinovich: Da sind wir wieder bei Sadat in den 1970ern: Er traf die strategische Entscheidung, vom sowjetischen Wagen abzuspringen, noch bevor er ganz sicher war, dass er auf den amerikanischen aufspringen kann. Syrien und besonders die Assad-Familie wird eine Fahrkarte mit einer Sitznummer wollen, bevor sie umsteigt. Ein starkes Element in der alawitischen Führungsschicht meint, man untergräbt das eigene Regime, wenn man die Politik ändert. Die Berechtigung für das Regime ist der äußere Feind.

STANDARD: Und Israel - auch dort halten manche einen Frieden mit Israel für unnötig und sprechen von einer "ruhigen Grenze".

Rabinovich: Es stimmt nicht, dass uns der Konflikt mit Syrien nichts kostet - sie bekämpfen uns ja via Libanon und Gaza, und es besteht immer die Gefahr der Eskalation. Ein israelisch-syrischer Deal könnte der Beginn der Stabilisierung des Libanon sein, und er würde den Einfluss des Iran brechen. Es ist ein Unterschied, ob wir den Iran im Nordosten der Region oder direkt an unseren Grenzen haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2010)