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GerichtsmedizinerInnen arbeiten nicht nur an den Seziertischen.

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Walter Rabl ist Präsident der Österreichischen Gerichtsmediziner und am Innsbrucker Institut tätig.

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In amerikanischen Filmen und Serien arbeiten Sie nahezu nur am Tatort und im Obduktionssaal - sie sind die Helden im Hintergrund: die Gerichtsmediziner. Der Alltag in Österreich sieht aber anders aus, wie Walter Rabl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin, erzählt. "Ein weit verbreitetes Klischee ist noch immer, dass Gerichtsmediziner 30 Prozent ihrer Zeit am Tatort und 70 Prozent im Obduktionssaal verbringen", sagt Rabl. "Dabei besteht nur fünf Prozent unserer Tätigkeit aus der Arbeit an Verstorbenen."

Ein Blick auf seinen eigenen Stundenplan und Rabl skizziert die Aufgabengebiete eines Gerichtsmediziners: Begutachtungen von Gewaltopfern, Schmerzensgeldverhandlungen, Schulung der Polizei, Gerichtsverhandlung in der Rolle des Gutachters und ein Vortrag über sexuelle Gewalt an einer Schule. "Der Job ist abwechslungsreich und kann auch belastend sein, aber sicher nicht belastender als andere Facharztrichtungen", sagt Rabl. Obwohl in den Köpfen der Bevölkerung anders wahrgenommen, sei ein Gerichtsmediziner schließlich nur eine Facharztausbildung - ein Arzt, der auch verstorbene Patienten "behandelt".

Weiterbildung auf freiwilliger Basis

Um GerichtsmedizinerIn zu werden, benötigt man ein abgeschlossenes Medizinstudium und darüber hinaus einen Ausbildungsplatz an einem der drei Institute Österreichs: Wien, Graz oder Innsbruck. Nach sechs Jahren Facharztausbildung hat man aber noch nicht ausgelernt. So sei es laut Rabl zwar nicht verpflichtend, sich weiterbilden zu lassen, doch werden die unterschiedlichen Prüflabors, wie die Toxikologie, in regelmäßigen Abständen überprüft. Wird dann der Ausbildungsstand der Mitarbeiter bemängelt, muss dieser behoben werden.

Wichtige Voraussetzungen, um den Beruf ergreifen zu können, sind laut Rabl "Hausverstand, Kenntnisse in vielen medizinischen Bereichen, da die Gerichtsmedizin interdisziplinär ist und große Sorgfalt". Obwohl viele der Meinung sind, dass der starke Magen ebenso als Voraussetzung vorhanden sein muss, zählt ihn Rabl nicht mir auf: "Der Laie stellt sich das viel schlimmer vor. Eine Leiche kann nie so stinken, wie ein Lebender." Das wüsste der Gerichtsmediziner aus Erfahrung. Zweimal schon hätte er wegen Gestanks schon fast den Raum verlassen und beide Male waren die Patienten noch am Leben.

Geruchssinn wichtig für Diagnosen

Tricks, wie Erkältungsbalsam unter die Nase zu streichen, um den Geruchssinn zu betäuben, hält Rabl nicht nur für unnötig, sondern auch gefährlich. "Ein Gerichtsmediziner braucht seinen intakten Geruchssinn, da dieser auch wichtig für die Diagnose sein kann." So würde ein bittermandelartiger Geruch auf Blausäure hinweisen oder ließe sich auch der Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung durch Riechen feststellen. "Und wenn eine Leiche wirklich stinkt, dann hat die Natur vorgesorgt", sagt Rabl: "Der menschliche Geruchssinn kann nur Geruchsunterschiede registrieren und gewöhnt sich nach fünf Minuten an einen gleichbleibenden Gestank."

Auch wenn die meisten Patienten schon tot sind, können Fehler von Gerichtsmedizinern im Obduktionssaal und in ihrer Tätigkeit als Sachverständige vor Gericht gravierende Ausmaße haben. "Ein fehlerhaftes Gutachten oder ein schlampig erstellter Bericht können dafür verantwortlich sein, dass ein unschuldiger Mensch ins Gefängnis geht", sagt Rabl. "Deshalb bin ich dafür, auch eine wahrscheinlich schuldige Person im Zweifel frei zu lassen."

Fälle, die nicht kalt lassen

Eine der schönsten Momente im gerichtsmedizinischen Alltag sind für Rabl die Fälle, in denen durch eine Obduktion oder ein Gutachten ein Täter überführt werden kann. "Wir arbeiten tagtäglich im Dienste der Überlebenden. Auch wenn wir nur einer Mutter sagen können, woran ihr Kind tatsächlich gestorben ist und ob es gelitten hat, ist das ein Erfolg." Vor allem die Arbeit mit toten Kindern und Säuglingen ließe keinen Gerichtsmediziner kalt. Wenn ein Mitarbeiter des Instituts aber zu lange über einen Fall nachdenke, könne er darüber in den morgendlichen Fallbesprechungen des Instituts sprechen. Professionelle Hilfe gebe es aber nicht. 

"Viele stellen es sich schlimm vor, einen toten Körper zu sezieren", sagt Rabl. "Für mich war es aber schlimmer, während meiner Ausbildungszeit in das Zimmer eines leukämiekranken Kindes zu gehen und Infusionen anzuhängen, obwohl ich wusste, dass das Kind in ein paar Wochen sterben wird." (Bianca Blei, derStandard.at, 26.11.2010)