Hassan Abou Taleb ist Politologe beim Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien in Kairo.

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Die ägyptischen Islamisten, die in einem Drittel der Wahlbezirke antreten, sind nicht mehr so stark wie früher, und Mohamed ElBaradei ist gescheitert, sagt der Politologe Hassan Abou Taleb im Gespräch mit Astrid Frefel.

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STANDARD: Sind diese Parlamentswahlen eine Art vorgezogene Präsidentschaftswahlen?

Abou Taleb: Nein. Jetzt geht es darum, ein Parlament zu bestellen, das ein Spiegel der politischen Landschaft ist. Dabei sollen gute oder mindestens akzeptable Leute gewählt werden, damit die Regierung in den nächsten fünf Jahren ihr Programm umsetzen kann. Aber die Präsidentschaftswahlen betreffen dann das gesamte politische Regime.

STANDARD: Stimmt der Eindruck, dass die Sicherheitskräfte noch stärker gegen die Muslimbrüder vorgehen als bei früheren Wahlen?

Abou Taleb: Der Konflikt zwischen den Muslimbrüdern und den meisten anderen politischen Kräften ist ein altbekanntes Phänomen. Die Gewalt resultiert darin, dass die Sicherheitskräfte überzeugt sind, dass sie gegen Leute kämpfen, die einen Coup gegen das Regime versuchen. Die Sicherheitskräfte wollen einen Religionsstaat verhindern und den säkularen Staat schützen. Der Streit zwischen diesen beiden Konzepten ist das Hauptmerkmal des politischen Kampfes in Ägypten.

STANDARD: Sie die Muslimbrüder in der Lage, jene Menschen anzuziehen, die genug haben von der Politik und der Korruption der NDP und Veränderungen wollen?

Abou Taleb: In den letzten fünf Jahren hatten die Muslimbrüder 88 Sitze im Parlament. Aber die Leute fragen sich, was sie in dieser Zeit getan haben. Sie haben zwar viele Anfragen gestellt, aber das konkrete Ergebnis ist nahe null. Sie haben an Popularität verloren.

STANDARD: Es gibt Spekulationen über einen Kuhhandel zwischen der NDP und den traditionellen Oppositionsparteien, dass diese mehrere Sitze zulasten der Muslimbrüder gewinnen könnten?

AbouTaleb: Einen Deal gibt es nicht, aber die NDP will, dass es eine Opposition gibt, die von den säkularen Parteien angeführt wird und nicht von den Muslimbrüdern. Wir stehen vor einer neuen Phase des politischen Lebens mit einer echten Opposition.

STANDARD: Es gab in den letzten Monaten viele Streiks. Werden sich diese Proteste in einer höheren Wahlbeteiligung niederschlagen?

Abou Taleb: Da ging es nur um die Verbesserung der Lebensumstände. Die Proteste waren nie gegen das Regime gerichtet. Die Regierung hat die Streiks sogar zugelassen und ist nicht mit Polizeigewalt eingeschritten. Das ist ein echter Fortschritt.

STANDARD: Was ist aus dem Boykott-Aufruf von Mohamed ElBaradei, dem ehemaligen Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, geworden, der sich in seiner Heimat politisch engagiert hat?

Abou Taleb: Das Phänomen ElBaradei ist vorbei. Fast alle Leute und Parteien, die hinter ihm standen, haben ihn in der Zwischenzeit verlassen. Er hat versucht, eine Art Konsens zwischen opponierenden Kräften zu schaffen, damit ist er gescheitert. Heute ist er nicht mehr als eine Einzelperson, die eine Vision der Zukunft dieses Landes hat. Er hat keinen Rückhalt im Volk. Für das Regime ist er kein Risiko mehr. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2010)