Wien - Showdown in der ÖBB. Nach mehrmonatigem Ringen um einen Sanierungsplan für die angeschlagene Güterverkehrssparte Rail Cargo Austria (RCA) hat ÖBB-Holding-Chef Christian Kern (er ist zugleich RCA-Aufsichtsratspräsident) am Donnerstag selbst das Steuer im Schwerverkehr in die Hand genommen. Und zwar mit einer in Österreichs Staatswirtschaft mehr als ungewöhnlichen Maßnahme:
In einer eilig für 9.30 Uhr einberufenen außertourlichen Aufsichtsratssitzung wurde dem RCA-Vorstandsduo Friedrich Macher und Günther Riessland das Vertrauen entzogen. Interimistisch übernimmt Andreas Fuchs das Steuer, bisher Finanzvorstand des ÖBB-Personenverkehrs und vorher beim Postbus. Als Copilot fungiert laut Angaben von Insidern zunächst (bis Jänner 2011) Kern selbst.
Nächste Woche soll die Ausschreibung der RCA-Führungsposten erfolgen, die Besetzung vier Wochen später. Wer auf dem Ticket neben Fuchs (der sich dem Vernehmen nach heftig gegen den Wechsel in die Krisenfirma RCA gewehrt haben soll) sitzen soll, steht übrigens auch schon fest: Erik Regter, bis vor einem Jahr Geschäftsführer von Verbund International, also dem Auslandsgeschäft, für das Kern beim Verbund zuständig war. Derzeit ist Regter beim französischen Verbund-Ableger Poweo.
Mit dem Vertrauensentzug sollte in die Vergleichsverhandlungen mit Macher und Riessland Bewegung kommen. Macher soll bis zum Ende seiner Vertragslaufzeit Ende 2012 bei den RCA-Speditionen tätig sein, für Riessland wird noch eine Beschäftigung gesucht. Beider Gagen sollen um 30 bis 40 Prozent gekürzt werden.
Schwere Mängel bei Sanierung
Offiziell kommentiert wird die Rochade in der Bahn nicht, man verwies auf ein Pressegespräch am Donnerstagabend. Begründet wird der Eingriff inoffiziell mit schweren Mängeln bei der RCA-Sanierung. Das vom RCA-Vorstand vorgelegte Konzept sei nicht realisierbar, es unterscheide sich kaum vom Roland-Berger-Plan aus dem Vorjahr und hätte Millionenzuschüsse seitens der Eigentümer bedeutet. "Es bedeutete, dass RCA aus eigener Kraft nicht zu retten ist", sagt ein Insider. Allein die Sanierungskosten, die sogenannten Remanenzkosten bis 2015, hätten 800 Millionen Euro betragen - Geld, das weder aus dem Budget kommen wird, noch von anderen ÖBB-Teilkonzernen. Das Vorsteuerergebnis des RCA-Konzerns wird vorläufigen Zahlen zufolge mit 139 Mio. negativ sein.
Wie Kern die RCA samt ihrer ebenfalls maroden Ungarn-Tochter MávCargo sanieren will, präsentierte er dem ebenfalls tagenden Holding-Aufsichtsrat.
Mit der Rochade an der RCA-Spitze, von der Koalitionspartner ÖVP übrigens kalt überrumpelt wurde, kommt erneut ein ÖBB-Personalkarussell in Schwung, das einen weiteren Stromstoß aus dem Verbund bringen dürfte: Der von Kern im Sommer zur Bahn geholte ÖBB-Holding-Strategie-Chef Georg Lauber soll Andreas Fuchs als Finanzchef der ÖBB-Personenverkehr ersetzen. Kern hält damit an der umstrittenen Praxis fest, überwiegend Manager zu berufen, die mit dem Eisenbahngeschäft bisher nichts zu tun hatten. Ob das klug ist, muss sich erst zeigen. Im ÖBB-Güterverkehr war es bisher zumindest kein Vorteil. Denn die Wirtschaftskrise war bei der RCA bei weitem nicht die einzige Ursache für die Talfahrt.
Auch die von ÖBB-Holding-Aufsichtsratschef Horst Pöchhacker verbreitete These, Macher, Riessland und der in die RCA-Tochter ÖBB-Produktion abgeschobene Vorstandsdirektor Ferdinand Schmidt hätten "das Problem MávCargo" nur geerbt, nicht verursacht, hält nicht. Bereits im Sommer 2008, als sich abzeichnete, dass Brüssel das Käuferkonsortium ÖBB-RCA/Raaberbahn sprengen würde und RCA die MávCargo nur im Alleingang übernehmen darf, sei es just das nun abmontierte Management Macher/Schmidt/Riessland gewesen, das einen Alleingang massiv verteidigte. Weil damit die RCA zum Marktführer in Südosteuropa aufstieg. Die damaligen Holding-Vorstandsdirektoren Martin Huber und Gustav Poschalko (hatte den Kauf im Jänner 2008 als RCA-Chef fixiert) hätten sogar einen Stopp des Kaufs erwogen. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 26.11.2010)