Es stimmt: Die Vorstellung einer prosperierenden Wirtschaftszone ohne Zollschranken von Lissabon bis Wladiwostok hat etwas Faszinierendes. Europäisches Know-how mit den russischen Ressourcen zu koppeln - das könnte eine Wirtschaftsmacht ergeben, die auch der chinesischen Herausforderung gewachsen ist.

Aber die Vision ist zu schön, um wahr zu sein. Zumindest, solange die Bedingungen einer solchen Zusammenarbeit nicht unmissverständlich formuliert sind. Russland ist von einem funktionierenden Rechtsstaat noch weit entfernt. Die Korruption beherrscht Wirtschaftsleben und Alltag. Die vom früheren Präsidenten und jetzigen Premier Wladimir Putin entwickelte "gelenkte Demokratie" funktioniert klaglos, aller liberalen Rhetorik seines Nachfolgers Dmitri Medwedew zum Trotz.

Wenn die EU unter solchen Voraussetzungen ihre Zusammenarbeit mit Russland vertieft, sendet sie damit ein Signal aus: Geht es ums Geld, dann sind die vielzitierten Grundwerte zweitrangig. In der Ukraine ist die Wirkung schon zu sehen. Dort wird unter dem neuen Präsidenten Wiktor Janukowitsch eifrig an einer Kopie des russischen Modells gearbeitet.

Der deutsche Ex-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder will Russland "völkerrechtlich noch enger an die europäischen Strukturen binden". Will sich aber Russland menschenrechtlich an die europäischen Werte binden? (Josef Kirchengast /DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2010)