Eine Meinungsverschiedenheit in vier Etappen.

1. Akt - Aus einem Kommentar von Alex Rühle in der "Süddeutschen Zeitung" : Das Besondere an dem Buch ist dessen glänzender Stil. Der Text kommt ohne das sonstige phraseologische Sperrholz linker Pamphlete aus, die Autoren schreiben mit situationistischem Schwung und gleichzeitig düsterrevolutionärem Zorn eine "Ästhetik des Widerstandes für das neue Jahrtausend" . Ähnlich der Tenor in "Zeit" und "FR" - und "FAZ" -Rezensent Nils Minkmar attestiert dem Bändchen gar, dass es das wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden könnte.

2. Akt. - Johannes Thumfart greift sich in der Berliner "Tageszeitung" ob solcher "Huldigungen" an den Kopf, und stellt die Frage in den Raum, ob es in den Reihen der deutschen Elite zu wenige gefestigte Demokraten mit historischer Bildung gibt? Denn:

In dem Pamphlet wird explizit zu politischen Gewalttaten aufgerufen - zur "Offensive zur Befreiung des Territoriums von seiner polizeilichen Besetzung" . Der Demokratie sind die Autoren spinnefeind. Wer auf dem "demokratischen Charakter des Entscheidungsprozesses" beharre, sei "Fanatiker der Prozedur" . In den "bürgerlichen Parlamenten" gebe es bloß zielloses "Palaver" - schnell denkt man da an die Weimarer Zeit, in der rechte und linke Extremisten den Reichstag als "Schwatzbude" bezeichneten.

Die Autoren stützen sich dabei auch auf Carl Schmitt, den Kronjuristen des Reiches, dessen Thesen zum "Ausnahmezustand" , zum "Partisanen" und zum Begriff des Politischen sie wiedergeben. Ein anderer Haupteinfluss ist der Philosoph des Nationalsozialistischen Denkdienstes, Martin Heidegger. Insbesondere seine Ressentiments gegen Technik und Moderne haben das Buch inspiriert. Zum Ausdruck kommt das in der Idee der "Vernutzung" sowie in der Klage über den angeblichen Mangel an menschlicher Nähe in der technifizierten Gegenwart."

3. Akt - Jörg Klaube in einem tags darauf veröffentlichten Kommentar in der "FAZ" (nicht online): Es ist ziemlich müßig zu diskutieren, ob das eine linke Theorie ist oder eine rechtsradikale, wie gerade aus den antimodernen Affekten des Büchleins geschlossen wurde. Denn einmal haben sich ja schon lange die Motive der Kulturkritik vermischt, und wenn irgendwo Heidegger oder Carl Schmitt zitiert werden - was das ‘unsichtbare Komitee' gar nicht tut, sondern nur die taz ins Rorschachbild hineinliest -, lässt das kaum Schlüsse auf politische Positionen zu. - Wie auch Marc Felix Serrao in seiner Replik in der "SZ" befindet: Denn was schert die Kinder, wer ihre geistigen Väter sind? Was vielleicht mal ein genuin rechter Weltekel war, hat sich längst im popkulturellen Mainstream eingebrannt ...

Nachspiel - Sarkastische Ergänzung des Schriftstellers Richard Wagner in einem Beitrag für das Online-Forum "Achse des Guten" : Der demokratische Apparat ist in der Defensive. Das Machtgefüge sucht lustlos nach seiner Mitte, um nicht ins Wanken zu geraten. Selbst über die Statik wird nur noch spekuliert. - Zeit für die Anarchisten? Für das Randphänomen? Für Gesundbeter und Piraten? Mag sein. Aber für den Aufstand? Wer sollte ihn in Gang bringen, und gegen wen sollte er sich richten? Wäre es ein Aufstand der Aktionäre gegen die Aktie? Oder bloß gegen die Aktienhändler?

Schon der erste Satz des Pamphlets ist nicht ohne Charme. Er lautet so: "Aus welcher Sicht man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ohne Ausweg" . Ob nun rechts oder links der Ausweg fehlt, oder morgen vielleicht schon als Klingelton angeboten wird, fällt letzten Endes wohl kaum ins Gewicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2010)