Personalberater Ediz Bökli hat eine praxisorientierte Dissertation im Bereich des Human Resource Management bzw. des Personalmarketings geschrieben.

Foto: Bökli

"Migranten haben in Deutschland mit sehr vielen Ressentiments am Arbeitsmarkt zu kämpfen", ist Ediz Bökli überzeugt. Er betreibt eine deutsch-türkische Personalberatung mit Jobportal in Deutschland und vermittelt hauptsächlich türkischstämmige Kandidaten. Häufig werden sie im Bewerbungsverfahren von Vornherein aussortiert, bekommen nicht einmal eine Chance auf ein Vorstellungsgespräch. Das bestätigen Erfahrungen und gezielte Bewerbungsexperimente. Zum Projektstart des Pilotversuchs "Anonyme Bewerbungen" in Deutschland äußert sich Bökli dennoch kritisch.

derStandard.at: Warum bedarf es einer Personalberatung speziell für türkisch-stämmige Akademiker?

Bökli: Menschen mit türkischem Hintergrund wird es in Deutschland am Arbeitsmarkt sehr schwer gemacht. Wir sind eine Personalberatung mit dem Fokus auf Vakanzen, die sich um das Thema "Türkei" drehen. Zum einen vermitteln wir für deutsche Firmen hochkarätiges Personal für ihren Standort Türkei. Zum anderen unterstützen wir deutsche Firmen bei der Besetzung von Positionen, in denen es um Vermarktungsprojekte hinsichtlich der türkisch-stämmigen Zielgruppe in Deutschland geht. 

In unserem Netzwerk sprechen wir über 18.000 türkische Akademiker direkt an und haben noch ein Netzwerk in der Türkei mit bis zu 25.000 türkischen Akademikern. Wir sind sehr stark über Social Media Plattformen wie Xing, Linkedin oder Facebook vernetzt.

derStandard.at: Sie wurden als Sohn türkischer Eltern in Deutschland geboren, sind in Deutschland aufgewachsen und haben ein Psychologiestudium inklusive ein Promotionsstudium in BWL erfolgreich abgeschlossen. Haben Sie ähnlich diskriminierende Erfahrungen gemacht?

Bökli: Anfangs nicht, denn als ich im Jahr 2000 mit dem Studium fertig war, gab es einen enormen Bedarf nach Hochschulabsolventen und ich hatte sehr gute Noten. 2004 habe ich aber auch hautnah erlebt, dass man mir nach einem gut gelaufenen Erstgespräch abgesagt hat. Nämlich mit der Begründung, dass ich nicht in das deutsche Team passe und dieses ein Problem mit meinem kulturellen Background hätte. Es hat sich damals um ein sehr großes deutsches Unternehmen gehandelt.

derStandard.at: Welche Konsequenzen hat diese Art der Diskriminierung für die Wirtschaft?

Bökli: Man muss davon ausgehen, dass der Staat diese Leute sehr teuer ausbildet, die deutsche und österreichische Wirtschaft schreit einerseits nach Talenten und übersieht dann Menschen, die im Land studiert haben, Deutsch, Englisch, Türkisch können, interkulturell sensibilisiert sind und global denken. Die deutsche Wirtschaft sucht nach dem Raster " jung, weiß und männlich". Dabei wird übersehen, dass in Deutschland nur 17 Prozent dieses Profil erfüllen. Sehr viele türkischstämmige Deutsche mit guten Qualifikationen wandern ins Ausland ab, weil man sie dort schätzt. Dabei haben wir in der deutschen Wirtschaft eine sehr große Fachkräfteproblematik und eine sehr stark belastete demografische Entwicklung.

derStandard.at: In Deutschland hat nun ein Projekt mit anonymen Bewerbungen gestartet, an dem fünf Unternehmen teilnehmen. Was halten Sie davon? 

Bökli: Man hat 30 Unternehmen kontaktiert - nur fünf haben die Zusage zur Teilnahme an dem Projekt gegeben - und das ist eher prestigefördernd gedacht. Zweitens: dieses Projekt ist gut gemeint, aber von der Umsetzung her nicht effektiv und sogar sehr kontraproduktiv. Es bekämpft nicht die Ursache, denn die latente Diskriminierung findet immer noch statt. 

Die Probleme verlagern sich alle auf das Erstgespräch. Im Bewerbungsprozess wird ja nicht nach einem Gespräch entschieden, meist gibt es zwei bis drei und man kann einem Kandidaten dann immer noch mitteilen, dass man ihn nicht möchte. Menschen müssen vielmehr das Denken in den Köpfen ändern. Dieses anonyme Modell suggeriert Bewerbern außerdem, dass sie einen Makel haben, den sie kaschieren müssen. Alles, was das Migrantenprofil ersichtlich machen könnte, dürfen sie nicht nennen. Und das stärkt nicht das Selbstbewusstsein. 

derStandard.at: In den USA funktioniert dieses Modell.

Bökli: Das Modell in den USA kann man nicht mit Europa vergleichen. Dort gibt es eine ganz andere Art von Integration. Unternehmen wie Motorola sind beispielweise laut Ranking der beste Arbeitgeber für die Hispanics. Dort hat man standardisierte Bewerbungsformulare eingeführt um die Klagewelle zu reduzieren.

Die Integrationsproblematik ist in Europa aber viel stärker. Viele Migranten werden gleich auch dem Islam zugeteilt und deswegen haben viele Menschen Ressentiments. Auch in den deutschen Medien wird ein sehr negatives Bild von den Migranten erzeugt: es ist sehr stark defizitorientiert und das bleibt sehr stark in den Köpfen der Menschen hängen, die Migranten problembehaftet wahrnehmen. 

derStandard.at: Welchen Vorschlag haben Sie?

Bökli: Mit solchen Tricks kommen wir nicht weit. Daher müssen wir vielmehr an den gesunden Menschenverstand appellieren: Die Vorstände in den Unternehmen müssen Leitbilder als Top-Down Ansatz verfassen und diese authentisch und glaubwürdig bis nach unten kommunizieren. Der erste Sachbearbeiter, der die Bewerbungsunterlagen in die Hände bekommt, soll wissen: das ist ein Migrant, den müssen wir genau so behandeln wie den Deutschen. Man muss eine Quote innerhalb des Unternehmens haben und die gesellschaftliche Struktur auch in der Belegschaft widerspiegeln. Und wir müssen auch gezielt proaktiv auf die drei diskriminierten Segmente - ältere Mitarbeiter, Frauen mit Kindern und Migranten - zugehen. 

derStandard.at: Sind Sie für eine Migrantenquote in den Unternehmen?

Bökli: Ich bin für eine intern geregelte Quote, gesetzlich sollte das nicht festgelegt sein. Als die Deutsche Telekom die Frauenquote implementiert hat, gab es einen großen Aufschrei. Deutschland ist einfach ein Männerclub von konservativen, biederen Herrschaften. Die Unternehmen sollten schon frei entscheiden können, aber sie sollten nach gesunden Maßstäben urteilen, weil wir mittel- bis langfristig große Probleme haben werden, Positionen zu besetzen. 

derStandard.at: Unternehmen nehmen Diversity oft als PR-Tool. Ist das wenigstens ein kleiner Ansatz in die richtige Richtung?

Bökli: Wenn Unternehmen nach Diversity schreien, sind das meist nur Lippenbekenntnisse und ich finde diese Aktionen nicht glaubwürdig. Wenn sie striktes Diversity Management betreiben, müssen sie auch wirklich ganz strategische operative Rekrutierungmaßnahmen aufbauen. Aber es gibt sehr sehr wenige Unternehmen, die striktes Diversity Management machen, der Rest ist einfach nur Publicity. (Marietta Türk, derStandard.at, 29.11.2010)