In Österreich gibt es eine Politiker- und Parteienverdrossenheit, die durch Ereignisse der vergangenen Wochen verstärkt wird. Nicht nur durch den Streit in der Bundesregierung, der zu einem Stillstand bei Reformen führt. Es geht darum, wie Ämter und Mandate besetzt werden.
Bei der Wiener Wahl im Oktober trat Alexander Van der Bellen an, der einen Wahlkampf für Vorzugsstimmen führte und 11.952 davon bekam - ein Rekord. Die wiederholte Aussage des einstigen Obergrünen vor dem Urnengang war: "Wenn es Rot-Grün gibt, dann übersiedle ich auf jeden Fall." Auch ohne Stadtratsposten würde er in den Gemeinderat wechseln, um die neue rot-grüne Regierung zu unterstützen. "Dann möchte ich auf jeden Fall meinen Beitrag leisten, dass das ein Erfolg wird."
Diese Woche wurde die rot-grüne Landesregierung in Wien angelobt - und Van der Bellen bleibt im Nationalrat, wird aber Wissenschafts- und Universitätsbeauftragter der Stadt Wien. Dieser eigens geschaffene Posten ohne Mittel und Macht soll eine Wählertäuschung kaschieren. Denn der einstige Obergrüne hält nicht, was er vor der Stimmabgabe versprochen hat.
So bleibt er im Parlament als außenpolitischer Sprecher - in einer Funktion, in der er in den vergangenen Jahren nicht aufgefallen ist. Dabei verfügt Van der Bellen als Wirtschaftsprofessor über wichtige Expertise, die er in den Zeiten der Finanzkrise in den politischen Diskurs hätte einbringen können. Das wäre ein Kompetenzgewinn für die Grünen gewesen.
Auch Heinz-Christian Strache ist nach der Wiener Wahl im Nationalrat geblieben. Der FPÖ-Spitzenkandidat hat aber ein ohnehin unerreichbares Ziel - Bürgermeister zu werden - als Bedingung für einen Wechsel genannt. Umgekehrt haben Othmar Karas die Vorzugsstimmen bei der EU-Wahl nichts genützt - die ÖVP-Leitung bestand trotzdem auf Ernst Strasser als Delegationschef.
Ein Fall von Wählertäuschung war auch die Schein-Kandidatur von Wolfgang Petritsch, der 2002 für den Nationalrat als Wiener SPÖ-Spitzenkandidat antrat, mehr Vorzugsstimmen als Alfred Gusenbauer bekam - und dann sein Mandat nicht annahm. Erst nach der Wahl wurde bekannt, dass sich der frühere Kreisky-Sekretär nur für das Amt des Außenministers, nicht aber für die Niederungen des Parlaments interessiert hat. Die Begründung für seine Rückkehr auf einen Botschafterposten: "Die Vorstellung, als Frühpensionist im Parlament zu sitzen, war für mich keine angenehme."
Offenbar finden es immer weniger Menschen angenehm, ein Mandat oder eine politische Aufgabe zu übernehmen. Schon jetzt kommen zwei Drittel der Abgeordneten und 80 Prozent der Regierungsmitglieder aus dem öffentlichen Dienst.
Die Suche nach einer Nachfolgerin für Christine Marek als Familienstaatssekretärin gipfelte in einer Dreifachquote: Frau, Tirol, ÖAAB. Mehr als zehn Absagen hagelte es, bevor sich die 38-jährige Lienzer Neo-Gemeinderätin Verena Remler fand, die den Kriterien entsprach und zusagte. Die Quoten erfüllt sie. Aber ob sie für diesen Job auch kompetent ist, lässt sich nach ihren Interviews, die sie zur Angelobung am Freitag gab, nicht sagen. Ihre Standard-Antwort war: "Ich möchte mich da nicht festlegen."
Dass der Verlust des Vertrauens in Politiker weiter steigt, ist angesichts schwammiger Aussagen und gebrochener Wahlversprechen nicht erstaunlich. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.11.2010)