Unter den Reaktionen von "normalen Leuten" auf die Wikileaks-Botschaftsakten findet man viel Verwunderung über so viel "zugespitzte" und persönliche Meinung in diplomatischen Berichten. Dabei wird vergessen, dass es sich bei vielem, was aufregt, ja genau darum handelt: die sehr persönliche Meinung von Diplomaten, die ihr Gegenüber im Gastland beschreiben. Ist das wichtig für das Außenministerium im Heimatland? Selbstverständlich, versucht doch der Diplomat - der eine einfühlsamer, der andere weniger - den Leuten zu Hause verständlich zu machen, wie dieser oder jener gestrickt ist, wie er tickt.

Das zu wissen, kann wichtig sein, bei Freund und Feind. Es ist hilfreich zu verstehen, warum sich der eine oder der andere Politiker vielleicht so und nicht anders verhält: Ist er unsicher, ist er arrogant, welche Interessen treiben ihn eventuell, an die man nicht sofort denkt. Aber wie gesagt: Nicht der Staat spricht, sondern der Botschafter, der seinem Staat berichtet. Die Erwartung, dass jetzt alle miteinander böse sein werden, auch die verbündeten Länder, ist weit hergeholt. Ihre Außenministerien haben alle ganz ähnliche Beschreibungen von US-Figuren in ihren eigenen Schubladen, ganz zu schweigen von ihren Auslandsgeheimdiensten.

In Wikileaks Eingang gefunden hat auch ein an die USA gerichtetes "Debriefing" des damaligen österreichischen Botschafters in Teheran, Michael Postl. Seine Analyse ist scharf und interessant - und deckt sich mit dem, was Iran-Experten sagen und bessere Iran-Journalisten in der Zeitung schreiben. Religionsführer Khamenei todkrank? Na und, in Teheran wird immer wieder gemunkelt, er sei schon tot.

Dass ein im Iran stationierter (im Fall Postls: ehemals im Iran stationierter) Diplomat mit den Amerikanern über den Iran redet, beschädigt ihn in den Augen der Iraner vielleicht im ersten Moment als Gesprächspartner - wobei das jedoch nur eine offizielle Haltung ist. Inoffiziell wissen die Iraner selbstverständlich nicht nur, dass die Österreicher mit den USA im Gespräch sind. Manchmal mag das sogar erwünscht sein, um wenn schon nicht direkte Botschaften, so dann zumindest Eindrücke zu übermitteln.

Wenn ein iranischer Vizepräsident mit dem österreichischen Botschafter redet, wird er nichts sagen, was die Amerikaner nicht erreichen soll. Und übrigens, wenn die österreichische Diplomatie etwas über den Iran weiß (wissen sollte), was sie den Amerikanern nicht gleich auf die Nase binden will, dann wird es in ein solches "Debriefing" eben nicht einfließen. Auch die Österreicher sind kein offenes Buch.

Aber zugegeben, der Name "Debriefing" ist hässlich - und hässlich ist die Vorstellung, dass das US-Außenministerium in gewissen Fällen seine Leute dazu angehalten hat, fast schon Spitzeldienste zu leisten. Da fällt eine Trennmauer, die man gut hüten sollte, gerade weil die Grenzen manchmal verschwimmen.

Dazu passt aber dann schon wieder, wie wenige echte "Geheimnisse" die Amerikaner über andere wissen. Aus der österreichischen Perspektive glaubt man leicht, die beginnen dort, wo wir aufhören. Dass das nicht stimmt, erfährt man bei Wikileaks. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2010)