Russlands Präsident Dmitri Medwedew hat vor einem neuen Wettrüsten gewarnt, sollte es beim Aufbau eines gemeinsamen Raketenschildes mit der Nato nicht bald Fortschritte geben. "Im nächsten Jahrzehnt stehen wir vor der Wahl: Entweder wir einigen uns auf einen Raketenschild und schaffen einen gemeinsamen Mechanismus der Kooperation - oder es beginnt ein neues Wettrüsten, wenn wir kein konstruktives Abkommen finden", so Medwedew.

In diesem Fall stünde Russland vor der Entscheidung, neue Offensivwaffen zu stationieren, fuhr der Kremlchef in seiner jährlich stattfindenden Rede vor der Föderalversammlung fort.

Laut Boris Makarenko, Vorsitzender des Direktorenrates des Zentrum für politische Technologien in Moskau, ist die Warnung Medwedews an Zweifler in den eigenen Reihen adressiert, die die Annäherung zwischen Nato und Russland kritisch beäugen. "Die Rede ist an das russische Publikum gerichtet. Einige haben eine gewisse Skepsis gegenüber dem Raketenschild. Die Gefahr eines neuen Wettrüstens ist das Hauptargument für eine gemeinsame Raketenabwehr", sagte Makarenko zum Standard. Nato und Russland hatten beim Nato-Gipfel in Lissabon eine Kooperation bei der Raketenabwehr vereinbart.

Ansonsten sparte Medwedew mit Kritik - sowohl am Westen als auch an der Arbeit von Regierungschef Wladimir Putin. Beobachter, die sich von der Rede einen Hinweis auf Medwedews Ambitionen erhofften, bei der Präsidentenwahl 2012 zu kandidieren, wurden enttäuscht. Der 45-Jährige bot auch keine Lösungsansätze für die von ihm vor einer Woche angeprangerten politischen Stagnation in Russland.

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Fast die Hälfte seiner 75 Minuten dauernden Rede widmete Medwedew der Familienpolitik. Die von ihm angestrebte Modernisierung sei nicht zur Erfüllung eines Selbstzweckes gedacht, sondern nur ein Instrument, um das Hauptziel zu erreichen: ein besseres Leben für die nachkommenden Generationen.

Die demografische Herausforderung des Bevölkerungsrückgangs werde Russland noch in den nächsten 15 Jahren zu schaffen machen, sagte der Präsident. Zur Erhöhung der Geburtenrate schlug Medwedew vor, Familien mit drei oder mehr Kindern ein kostenloses Grundstück zu schenken sowie Steuererleichterungen zu gewähren.

Auch der Kampf gegen die Korruption, der in den zweieinhalb Jahren seiner Präsidentschaft erfolglos verlief, durfte in der Jahresbotschaft nicht fehlen. Der Kremlchef empfahl künftig, Geldstrafen in Höhe des hundertfachen Schmiergeldbetrages zu verhängen und nicht nur Bestecher und Bestochene zu bestrafen, sondern auch die Mittelsmänner. (Verena Diethelm aus Moskau, STANDARD-Printausgabe, 1. Dezember 2010)