Foto: Georg Witting, Petra Sumasgutner

Knapp 400 Brutpaare dürften in Wien siedeln. In einem Forschungsprojekt führen zwei Wissenschafterinnen mithilfe der Bevölkerung Zählungen durch und schauen den Greifvögeln in ihre Nester.

Foto: Georg Witting, Petra Sumasgutner

Würde die Wiener Stadtregierung ein Wappentier für die tierische Lebensqualität der Hauptstadt suchen, könnte sie sich getrost mit dem Turmfalken schmücken: Er scheint hier ideale Lebensbedingungen zu finden - in vergleichbaren Großstädten ist er Mangelware oder nur durch intensive Naturschutzarbeit vorhanden. Damit das so bleibt, wird derzeit in einem Gemeinschaftsprojekt der Uni Wien und des Naturhistorischen Museums untersucht, warum das so ist und was notwendig ist, damit es auch so bleibt.

Zu diesem Zweck musste zuerst einmal geklärt werden, wie viele Turmfalken es im Wiener Stadtgebiet überhaupt gibt. Schätzungen beliefen sich bisher auf 250 bis 400 Brutpaare. Wie sich heuer bei der ersten echten Zählung herausstellte, bewegt sich die Population tatsächlich eher am oberen Rand.

Via Medien wurde die Bevölkerung gebeten, Turmfalkensichtungen zu melden - und siehe da: Viele Wiener kennen ihre geflügelten Nachbarn. "Wir hatten ein paar Fälle, wo Mauersegler für Falken gehalten wurden, und eine Meldung von einem angeblichen Papagei, der sich dann doch als Falke entpuppt hat, aber sonst waren die Leute super", erzählt Hauptakteurin Petra Sumasgutner vom Department für Evolutionsbiologie der Universität Wien, die mit dem Projekt ihre Dissertation schreibt. "Ich bin jedem Hinweis nachgegangen und habe allein dadurch 320 Nistplätze gefunden."

Lieblingsnest Dachboden

Die mit Abstand meisten davon - 70 Prozent - liegen in Gebäude- nischen, wobei Dachbodenluken die größte Rolle spielen: Sie stellen knapp 40 Prozent aller Nistplätze. Zu diesen Nestern zu gelangen ist nicht immer so einfach. Ganz abgesehen davon, dass man dafür eine Genehmigung der Hauseigentümer braucht, liegen die Nistplätze oft an schwer bis gar nicht zugänglichen Orten.

Sumasgutner musste deshalb manchmal auf ungewöhnliche Methoden zurückgreifen: Einen Tag lang war sie mit der Wiener Feuerwehr unterwegs, die sie mittels Hebebühne zu besonders schwierigen Niststandorten brach-te. Bei manchen Nestern erhielt sie Hilfe von zwei Kletterinnen, die sich vom Dach abseilten und ihr die Nestlinge für die nötigen Datenerhebungen brachten.

Insgesamt 37 Nester konnte sie auf diese Weise detailliert untersuchen. In der Praxis bedeutete das, dass sie die Nistplätze am Anfang und am Ende der Brutsaison kontrollierte und dabei Legebeginn, Gelegegröße, Schlüpfrate und Ausflugrate feststellte. Zusätzlich wurden die Nestlinge vermessen, gewogen und beringt.

Ein Rachenabstrich dient dazu, das Geschlecht der Vögel festzustellen, und die DNA aus jeweils einer ausgezupften Feder soll im Laufe des Projekts Auskunft über die Vaterschaftsverhältnisse in den Nestern geben. Die herrschende Lehrmeinung, dass Falken streng monogam sind, hält Sumasgutner nämlich für "sehr unwahrscheinlich. Es würde mich nicht wundern, wenn die drei bis sechs Jungen pro Nest mehrere Väter hätten."

Auch die in den Lehrbüchern vertretene Meinung, dass die Falken ihre Nahrung am Stadtrand suchen, halten sowohl die junge Biologin als auch Greifvogel-Spezialistin Anita Gamauf vom Naturhistorischen Museum, die die Dissertation mitbetreut, für kaum haltbar: "Erstens ist das für die Innenstadtvögel energetisch und zeitlich zu aufwändig, und zweitens müssten sie dabei ständig über jede Menge fremder Reviere fliegen - das gäbe permanent Auseinandersetzungen", erläutert Gamauf. Um zu klären, was die Greifvögel in der Stadt tatsächlich fressen, untersucht Sumasgutner nicht nur Gewölle, sondern hat auch an einem Nest eine Videokamera installiert. Nächstes Jahr sollen drei Nester auf diese Weise überwacht werden, doch schon jetzt lässt sich sagen, dass die Falken in der Stadt eine Tendenz zeigen, von Mäusen als ihrer üblichen "Leibspeise" auf Kleinvögel auszuweichen.

Auch was den Bruterfolg angeht, gibt es erste Ergebnisse: Er nimmt mit zunehmender Flächenversiegelung ab. In der Innenstadt flogen durchschnittlich 1,1 Jungtiere pro Nest aus, in der Mischzone, in der die Versiegelung 36 bis 70 Prozent beträgt, waren es im Schnitt 1,5 und in der mehr oder weniger grünen Außenzone 2,9. Dass die überlebenden Jungtiere unabhängig von Zone überwiegend weiblichen Geschlechts waren, führen Sumasgutner und Gamauf auf die unwirtlichen Witterungsbedingungen im heurigen Frühjahr zurück: "Es war sehr lange nass und kalt, sodass nur die größten und stärksten Nestlinge überlebt haben." Und das sind bei den Greifvögeln - anders als bei vielen Säugetieren - die Weibchen.

Unbekanntes Winterquartier

Im Winter sind Turmfalken in Wien übrigens nur vereinzelt anzutreffen. Die Vögel sind üblicherweise von April bis September/Oktober bei uns. Wo sie den Rest der Zeit verbringen, ist weitgehend unklar. "Die Jungvögel überwintern wahrscheinlich im Mittelmeerraum oder in Südost-europa, eventuell sogar in Nordafrika", vermutet Gamauf, "in milden Wintern fliegen sie aber vielleicht nicht so weit, genau wissen wir es nicht." Im Zuge des Projektes sollen deshalb einzelne Vögel mit Sendern ausgerüstet werden, um auch diese Frage zu klären.

Das Projekt läuft zwar noch bis 2013, doch schon jetzt sieht es danach aus, dass der Turmfalke in Wien unter anderem so häufig ist, weil hier neben dem guten Nahrungsangebot so viele Dachbodenluken als Nistplätze zur Verfügung stehen. Noch jedenfalls, denn im Zuge von Fassadensanierungen oder von Taubenabwehr-Maßnahmen werden diese Öffnungen immer häufiger verschlossen. Die gute Nachricht: Der Turmfalke nimmt auch gerne entsprechende Nistkästen an. "Die kann man leicht auf einem Balkon oder an einem Fenster anbringen", sagt Sumasgutner. "Und die Tauben trauen sich dann auch nicht so leicht in die Nähe." Ebenso gern legt er seine Eier übrigens in leere Blumenkistchen: Immerhin vier Prozent aller Wiener Nester entfallen auf diese Standorte. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 01.12.2010)