Der erste Popstar der Literatur: Peter Handke, porträtiert von Günter Waldorf, am Cover der "manuskripte 18", Ende 1966.

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Promotor junger Autoren: Alfred Kolleritsch, 79, geboren in Brunnsee, ist Schriftsteller, Lehrer und Mitbegründer des Forum Stadtpark, dessen Präsident er 1968- 1995 war.

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Alfred Kolleritsch (li.) feiert, Peter Handke kommt, und Gerhard Melzer (re.) erstellte das Programm.

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Kolleritsch sprach mit Thomas Trenkler über die Literaturzeitschrift "manuskripte", die er seit 50 Jahren herausgibt.

Standard: Am Samstag werden mehr als 140 Autoren beim Festakt im Grazer Schauspielhaus dabei sein. Ein derart großes Autorentreffen gab es noch nie, oder?

Kolleritsch: Es war etwas verwegen von mir, alle wichtigen Autoren, die im Laufe der letzten 50 Jahre in den manuskripten publiziert haben, einzuladen. Das Erfreuliche – und gleichzeitig Erschreckende – ist, dass fast alle zugesagt haben. Peter Handke kommt mit Hubert Burda, Ulla Berkéwicz kommt, Robert Menasse, auch Peter Turrini. Eine bunte Fülle. Die Jelinek kommt nicht, sie hat aber einen schönen Text geschickt.

Standard: Der einzige Autor, der auftritt, sind Sie.

Kolleritsch: Ich soll ein ganz frühes und ein spätes Gedicht lesen. Gerhard Melzer, der Leiter des Literaturhauses, hat sich das als den Abend umspannenden Bogen gedacht. Ich fragte mich oft, ob ich den Auftritt nicht wegen meiner Krankheit – ich hätte eine Darmoperation aufgrund einer Sepsis fast nicht überlebt – absagen sollte. Aber ich werde ihn schon überstehen.

Standard: War die Gründung der "manuskripte" im November 1960 eine Spontanaktion?

Kolleritsch: Ab Abend vor der Eröffnung des Forum Stadtpark haben wir im Keller noch die Wände geweißelt. Alois Hergouth war dabei und Barbara Frischmuth. Wir stellten fest: Oben zeigen die Maler ihre Bilder, und die Literatur kommt eigentlich nicht vor. Da sagte einer: "Stellen wir doch schnell ein Heft zusammen!" Noch am selben Abend wurden Gedichte auf Matrizen getippt und diese abgezogen. Irgendeiner – ich war es nicht – erfand den Titel manuskripte. Und am nächsten Tag haben wir das Heft verschenkt. Keiner dachte daran, dass es eine zweite Ausgabe geben würde.

Standard: Wie kam es doch dazu?

Kolleritsch: Gerhard Rühm und H. C. Artmann hatten Lesungen in der Urania. Ich hab deren Texte gehört und bin aus allen Wolken gefallen. Mir ist diese neue Ästhetik der Wiener Gruppe so ungeheuer wichtig vorgekommen: Ich bin zu ihnen gestürmt und hab mir alle Texte geben lassen. Mit diesen hab ich eine zweite Ausgabe der manuskripte gemacht. Die Raiffeisenkasse zahlte das Vervielfältigen. Ich bedankte mich daher im Heft. Doch dann ging ein Sturm der Entrüstung los. In jedem Exemplar musste ich die Dankadresse mühsam überkleben. Aber da ist so eine Art Opposition erwachsen: Jetzt machen wir weiter! Und so ist die dritte Nummer entstanden – mit Günter Waldorf, dem Forum-Initiator, als zweitem Herausgeber. Im Heft 5 sind die Grazer Jungautoren aufgetreten, Wolfgang Bauer und Barbara Frischmuth. Und mit Heft 10 Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Eines hat sich aus dem anderen ergeben. Jandl erzählte mir von Ossi Wiener – und so habe ich begonnen, dessen Roman Die Verbesserung von Mitteleuropa in Teilen zu veröffentlichen.

Standard: Was Sie in ungeahnte Schwierigkeiten brachte.

Kolleritsch: Ja, es gab eben eine rechtsgerichtete Szene – vor allem in der Literatur. Einige Leute, darunter Wolfgang Arnold von der Süd-Ost-Tagespost, versuchten mir einen Pornografieprozess anzuhängen. Das Unterrichtsministerium sprach ein Verbreitungsverbot aus, das Heft durfte also nur unter der Hand verkauft werden. Das war eigentlich der Beginn des Erfolgs. Denn ich sammelte in Deutschland Unterschriften, und alle unterstützten die manuskripte, darunter Uwe Johnson und Günter Grass. Ich wurde zwar verhört, aber es wurde keine Anklage erhoben. Man versuchte dennoch, die Schulbehörde gegen mich aufzubringen.

Standard: Sie unterrichteten am Akademischen Gymnasium.

Kolleritsch: Eltern haben beim Landesschulrat angefragt, wie lange man dieses "Schwein Kolleritsch" unterrichten lässt, das die Jugend verdirbt. Aber man hatte keine Handhabe. Und so sind die Hefte weiter erschienen.

Standard: Schon davor war es zu einem Richtungsstreit zwischen Hergouth und Ihnen gekommen: Er zog sich enttäuscht zurück.

Kolleritsch: Ich habe Hergouth verehrt. Er hatte mich ja ins Forum gebracht. Und bis zur Nummer 10 veröffentlichte er immer wieder Gedichte. Aber er dachte, dass die manuskripte eine Hauszeitung werden. Ich hingegen habe immer mehr Autoren angeschrieben, die nicht zum Forum gehörten.

Um 1966 wurden wir nach Polen ins Kulturinstitut eingeladen. Wir standen stundenlang an der tschechischen Grenze. Es gab im Zug nichts zu essen und zu trinken. Aber es ergab sich eine Trinkerei mit Polen, die Wodka ausschenkten. Der Wolfi Bauer hat im Vollrausch das arme polnische Volk begrüßt: Er zog sich aus und warf die Kleider beim Fenster hinaus. Er ist dann in der Unterhose dagestanden. Auch Klaus Hoffer warf Rock und Hemd hinaus. Durch Zufall traf ich im Zug einen Kollegen, der mit einer Gruppe von Maturantinnen nach Moskau unterwegs war. Die haben uns notdürftig eingekleidet. In Warschau sind wir ziemlich belämmert ausgestiegen – der Wolfi Bauer in Damenbluse und Badepatschen. Die Frischmuth war bewusstlos, sie musste gleich ins Spital gebracht werden. Der Botschafter war entsetzt. Und Hergouth war das zu viel. Alle haben mit ihm gestritten. Das hat zu einer Entfremdung geführt. Und dann ist Peter Handke aufgetaucht.

Standard: Sein erster Text wurde 1964 in Heft 10 veröffentlicht. Wie kamen Sie mit Handke, der in Graz Jus studierte, in Kontakt?

Kolleritsch: Zu den Veranstaltungen kam immer wieder eine große, schlanke Figur mit strengen Augengläsern. Herbert Eisenreich meinte im Juni 1963 nach seiner Lesung, dass in Österreich niemand mehr einen Roman schreiben könne. Daraufhin sagte der bisher Stumme: "Ich bin der neue Romancier." Und so bin ich auf ihn zugegangen. Seit diesem Zeitpunkt sind wir gute Freunde. Er hat im Forum Wilhelm Hengstler und Klaus Hoffer vorgestellt. Und er hat im Forum sein erstes Buch getippt, weil er selber keine richtige Schreibmaschine hatte. Dann lernte er die Schauspielerin Libgart Schwarz kennen. Im Sommer 1966 wurde sie nach Düsseldorf engagiert – und er ist ihr gefolgt.

Standard: Für das Cover von Heft 18 wurde er von Waldorf als Popstar porträtiert. Nach wie vor ist Günter Waldorf Mitherausgeber. Warum bringt er sich nicht ein?

Kolleritsch: Er war ursprünglich für die bildende Kunst zuständig. Aber es war zu teuer, Künstler mit ihren Werken auf Hochglanzpapier vorzustellen. Er ist meine Galionsfigur, mein Freund. Hin und wieder steuert er ein Titelbild bei.

Standard: Wie geht es weiter?

Kolleritsch: So, wie es bisher weitergegangen ist. Und irgendwann kommt der natürliche Tod. Wolfi Bauer meinte, ich sollte die manuskripte bei Lebzeiten abschließen – so wie es Otto Breicha mit den Protokollen gemacht hat. Als ich so krank war, tauchte natürlich die Frage auf, ob die manuskripte eingestellt werden sollten. Aber ich schlug dem Tod ein Schnippchen. Jetzt wird das Heft 189/190 vorgestellt. Die 200. Nummer würde ich schon noch gerne machen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.12.2010)