Washington - Als "Verräter" und "Terrorist" wird er beschimpft, über Parteigrenzen hinweg fordern Politiker seinen Kopf: Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange hat mit der Veröffentlichung der US-Diplomatendepeschen erneut für einen Aufschrei der Empörung in den Vereinigten Staaten gesorgt. Die US-Regierung will dem 39-jährigen Australier den Prozess machen. Unklar ist aber bisher, auf welcher rechtlichen Grundlage dies geschehen könnte.

Die USA eröffneten bereits nach der Veröffentlichung von Zehntausenden Geheimdokumenten zum Afghanistankrieg im Juli ein strafrechtliches Verfahren. Doch nun, nachdem Wikileaks auch rund 250.000 Dokumente der US-Diplomatie zugänglich gemacht und die USA damit blamiert hat, drücken die Ermittler besonders aufs Tempo.

Holder: Niemand kann sich in Sicherheit wiegen

"Glauben sie mir, im Justizministerium sitzen jetzt gerade viele Anwälte daran, alle möglichen Gesetze zu durchforsten und zu überlegen, welches Gesetz am besten geeignet ist, gegen Assange vorzugehen", sagt Bruce Zagaris, Experte für internationales Recht.

Justizminister Eric Holder kündigte bereits an, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. "Wenn wir irgend jemanden finden können, der US-Gesetze gebrochen hat (...) dann wird er zur Verantwortung gezogen." Es könne sich niemand in Sicherheit wiegen, nur weil er nicht US-Staatsbürger sei oder seinen Wohnsitz im Ausland habe.

Bisher wurde wegen der Wikileaks-Veröffentlichungen nur ein Verdächtiger festgenommen: Der 23 Jahre alte Soldat Bradley Manning sitzt seit Mai in Haft. Der Obergefreite soll Wikileaks die Hunderttausenden US-Dokumente zugespielt haben, die in den vergangenen Monaten publik gemacht wurden.

"Ausländische Terrororganisation"

Die frühere republikanische Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin und ihr Parteifreund Peter King wollen Assange als Terroristen verfolgen lassen. Palin bezeichnete Assange als "anti-amerikanischen Agenten, der Blut an den Händen hat". King forderte vom US-Außenministerium gar, Wikileaks zu "ausländischen Terrororganisation" zu erklären.

Als gangbarster Weg, juristisch gegen Assange vorzugehen, gilt jedoch der Vorwurf der Spionage. Das entsprechende Gesetz stammt von 1917 und damit aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Verfolgt werden kann demnach jeder, der ohne Genehmigung aus welcher Quelle auch immer Dokumente über die nationale Verteidigung erhält oder versucht, sich diese zu beschaffen.

Der Rechtsprofessor Scott Silliman sieht aber Schwierigkeiten dabei, dieses Gesetz auf Assange anzuwenden. Es müsse ihm ein Motiv nachgewiesen werden, sagte er dem "Wall Street Journal". Nötig sei auch der Beweis, dass Assange sich die Dokumente selbst aktiv beschafft habe. Auch der demokratische Senator John Kerry räumte ein, dass das Spionagegesetz wohl nur schwer gegen Assange angewandt werden könne. Das Gesetz müsse geändert werden, der Inhalt "hingebogen" werden.

Doch auch dann gibt es ein mächtiges Gegengewicht: Das in der US-Verfassung garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung. Das gelte auch für die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten, sagt Hina Shamsi von der US-Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU). Das hätten US-Gerichte wiederholt festgestellt. "Wikileaks zu verfolgen wäre nichts anderes als Medien zu verfolgen, die ebenfalls Geheimdokumente veröffentlicht haben."

Noch aber befindet sich Assange gar nicht in der Hand der US-Behörden. Er ist derzeit untergetaucht. International ist er zwar zur Fahndung ausgeschrieben - aber nicht wegen der Wikileaks-Enthüllungen, sondern wegen angeblicher Sexualdelikte in Schweden. (APA)