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Zu hoher Blutdruck: Um Herzinfarkt und Schlaganfall vorzubeugen, werden Medikamente verschrieben.

Etwa jeder dritte Mensch in Österreich hat einen zu hohen Blutdruck, bei den über 50-Jährigen sogar jeder zweite. Muss das Herz das Blut ständig mit Überdruck durch die Gefäße pumpen, drohen Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenschwäche oder Sehbehinderung. All das können Medikamente gut verhindern. Kein Wunder, dass Ärzte ständig predigen, die Pillen regelmäßig einzunehmen. Nun sollen die Sartane, eine häufig verschriebene Medikamentengruppe, das Risiko für Krebs erhöhen. Zu dieser Einschätzung kommt eine US-amerikanische Studie (Lancet Oncology 2010, Band 11, S. 627). Ärzte diskutieren die Ergebnisse, Patienten machen sich Sorgen. Kann man den Resultaten tatsächlich glauben? "Bestimmten Patienten nützen Sartane, und man sollte sie auf keinen Fall ohne Rücksprache mit dem Arzt absetzen", rät Bruno Watschinger, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Bluthochdruck.

Der Hintergrund für die Diskussion: Die Studienautoren der Universität Cleveland hatten eine Meta-Analyse durchgeführt, bei der sie Daten zu knapp 95.000 Patienten aus neun Einzelstudien bewerteten. Diese Untersuchungen dauerten im Durchschnitt zwei bis fünf Jahre. In dieser Zeit diagnostizierten die Mediziner Krebs bei 7,2 Prozent der Patienten, die ein Sartan eingenommen hatten, gegenüber 6,0 Prozent bei Patienten mit anderen Blutdruckmedikamenten oder einem Scheinpräparat.

Sartane heißen auch Angiotensin-Rezeptorblocker oder AT-1-Antagonisten. Sie verhindern, dass die körpereigene Substanz Angiotensin II wirken kann. Diese ist für den erhöhten Blutdruck mit verantwortlich, indem sie die Gefäße verengt und Wasser im Körper zurückhält. 1996 kam hierzulande das erste Sartan auf den Markt, inzwischen gibt es sechs weitere. Meist setzen Ärzte sie statt ACE-Hemmern als Zweit- oder Drittmedikament ein. Beliebt sind die Sartane deshalb, weil sie seltener zu den für ACE-Hemmer typischen Nebenwirkungen wie Reizhusten oder zu einem Angioödem führen. Letzteres äußert sich durch Schwellungen von Gesicht, Zunge oder Rachen.

Pharmafirmen erzielen mit den Sartanen Milliardenumsätze - mit steigender Tendenz: Allein der Verkauf von Valsartan erbrachte im vergangenen Jahr rund sechs Milliarden US-Dollar. "Den Verdacht, dass Sartane mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen könnten, gab es schon vor sieben Jahren, sagt Wolfgang Becker-Brüser, Arzt und Herausgeber des Arznei-Telegramms, das Medikamente und Therapien kritisch beurteilt. Damals fiel in einer Studie auf, dass Patienten mit einem Sartan etwas häufiger Krebs bekamen als Patienten mit einem Scheinpräparat.

Interpretationsfrage

"Die Daten reichen derzeit nicht aus, um das Risikopotenzial richtig beurteilen zu können. Man sollte die Medikamente nur dann einnehmen, wenn sie wirklich notwendig sind", sagt Becker-Brüser.

"Hat ein Patient zusätzlich Herzschwäche oder Diabetes oder verträgt ACE-Hemmer nicht, sollte man Sartane nicht vorenthalten", sagt Maximilian Pichler, Kardiologe am Uniklinikum Salzburg. "Denn Studien zeigten, dass die Sartane in diesen Situationen gut wirken. Die Meta-Analyse hat einige Schwächen, und man kann den Ergebnissen nicht so ohne weiteres glauben." So hatten die Forscher beispielsweise nicht mit einberechnet, wie alt die Patienten waren, ob sie rauchten oder nicht und was für Begleitkrankheiten sie hatten. "Waren bei den Sartan-Patienten zum Beispiel überproportional viele ältere Menschen oder Raucher, ist es viel wahrscheinlicher, dass sie Krebs durch ihr Lebensalter oder durch das Rauchen bekommen haben als durch Sartane", erklärt Pichler.

"Eine Meta-Analyse muss man wie alle Studien kritisch lesen", bestätigt auch Ulrich Hagemann, der beim deutschen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für die Überwachung der Risiken von Medikamenten verantwortlich ist. "Ein großes Problem waren auch die Ergebnisse von Einzelstudien, die nicht veröffentlicht wurden. Diese konnten die Wissenschafter in ihrer Meta-Analyse nicht berücksichtigen."

Die Arzneimittelbehörden in den USA und der EU haben inzwischen weitere Untersuchungen gestartet. Statistiker untersuchen nicht nur die Originaldaten aus den Einzelstudien der Meta-Analyse, sondern auch Studien, die Pharmafirmen für die Zulassung vorlegten, sowie Ergebnisse aus Tierversuchen. Die österreichische Behörde Ages PharmMed wartet die Ergebnisse ab. "Bis jetzt erhielten wir keine Mitteilungen, dass wir unser Verschreibungsverhalten ändern sollten", sagt der Internist Watschinger.

Dass Sartane vermutlich eher nicht Krebs auslösen, bestätigt auch eine weitere Meta-Analyse, die vergangenen Donnerstag erschien (Lancet Oncology online 30. 11. 2010). Eine internationale Arbeitsgruppe hatte die Daten von mehr als 320.000 Patienten aus 70 Einzelstudien analysiert. Sie führten dabei unter anderem eine Netzwerk-Meta-Analyse durch. Mit diesem relativ neuen, statistischen Verfahren konnten sie besser verschiedene Blutdruckmedikamente miteinander vergleichen, die in den Einzelstudien nicht direkt gegeneinander getestet wurden. Fazit der Wissenschafter: Sie konnten kein erhöhtes Krebsrisiko durch Sartane feststellen. Nur bei Patienten, die gleichzeitig Sartane und ACE-Hemmer eingenommen hatten, könnte möglicherweise das Risiko etwas erhöht sein. Diese Kombination empfehlen Experten heutzutage nicht.

Vorteil überwiegt

Eine biologische Erklärung, dass Sartane zu Krebs führen könnten, gibt es bisher nicht. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Medikamente vor Folgekrankheiten des Blutdrucks wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Nierenschäden schützen", so Watschinger. Viel größer ist die Gefahr, frühzeitig zu sterben, wenn der Blutdruck nicht richtig behandelt wird." (Felicitas Witte, DER STANDARD Printausgabe, 06.12.2010)