... zu den laufenden Bemühungen um die Belebung eines christlich-sozialen Ständestaates passt, ist die "Kronen Zeitung" immer dabei. Mit dem Geschichts- und Politikverständnis des Herausgebers sind wir ja öfter konfrontiert. Wäre Schwarz-Rot nicht besser gewesen? bejammerte er diesmal zu Monatsbeginn seine nachlassenden Kräfte: Wenn der 1. Mai als Tag der Arbeit von allen politischen Parteien - zwar von jeder für sich, aber doch - als gemeinsamer Feiertag begangen wird, so ergibt sich daraus auch die Frage, warum wir - Obacht, Majestätsplural, gemeint ist er - nicht fähig waren, die beiden traditionellen "Volksparteien" zusammenzuführen, um eine gemeinsame Regierung zu bilden. Wenn es jetzt geradezu Anzeichen für eine Demokratiekrise gibt, dann nur, weil man nicht auf ihn hört.

An besagtem Buch demonstrierte er, wohin das schon einmal in der Vergangenheit geführt hat, als zu Österreichs Unglück ein Hans Dichand noch gar nicht fragen konnte: Wäre Schwarz-rot nicht besser gewesen? Das Buch stammt von einem Univ.-Prof. Dr. h. c. Gottfried-Karl Kindermann, der es der "Krone" mit einem äußerst interessanten Brief zukommen ließ. Der Professor hat nämlich ein tiefempfundenes Anliegen, das sich wundersam mit einem gleich tief empfundenen der ÖVP-Spitze deckt: Engelbert Dollfuß endlich den Persilschein auszustellen, der ihn als einen im Heldenkampf gegen den Nazifaschismus gefallenen Superpatrioten und damit als eine Art Gründervater Österreichs erweisen soll.

Nun ist bekannt, dass Dollfuß von nationalsozialistischen Putschisten auf grausame, schäbige und sinnlose Weise ermordet wurde, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es sich bei ihm um einen aus einer ganzen Reihe faschistischer Diktatoren unterschiedlichen Kalibers handelte, die in den Dreißigerjahren - sei es miteinander, sei es gegeneinander - Europa in den Abgrund trieben.

Hitlers Beispiel hat Dollfuß keineswegs davon abgehalten, so wie er die Demokratie abzuschaffen, Parteien und freie Gewerkschaften zu verbieten, politische Gegner einzusperren und hinzurichten, auch wenn er dabei zweifellos weniger konsequent vorging. Schon im "Korneuburger Eid" der Heimwehr vom Mai 1930 heißt es neben einem Bekenntnis zur "Gemeinschaft des deutschen Volkes" wörtlich: "Wir verwerfen den westlich-demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat!"

Im Februar 1934 war der Parlamentarismus in Österreich - aus Abscheu vor den Nazis? - längst beseitigt, es ist daher schon seltsam zu schreiben: Unter dem Aspekt des österreichischen Widerstandes gegen Hitler verkörpert der Schutzbundaufstand vom Feber 1934 eine der größten Gefährdungen dieses Widerstandes, da zuerst der Schutzbund in Linz, trotz Verbotes der eigenen Parteiführung, und dann - vor die Tatsache des Blutvergießens in Linz gestellt - diese selbst bedenkenlos einer Regierung in den Rücken gefallen ist, die sich gleichzeitig im schärfsten Abwehrkampf gegen die Nationalsozialisten befunden hat.

Gewiss - ganz kann der Univ.-Prof. die Wahrheit doch nicht verbiegen - die autoritäre Staatsführung ist in erster Linie dem vaterländischen Lager anzulasten. Doch gibt es auch eine Mitverantwortung der Sozialisten, die stellten nämlich, statt bedenkenlos Schulterschluss bei der Abschaffung der Demokratie zu üben, für die traditionalistischen und katholischen Vaterländischen einen ungemein schwierigen Verhandlungspartner dar. Das kennen wir! Es ist dieselbe Frechheit wie die des ÖGB heute gegenüber Schüssel. Der kann drei Monate lang die Arme ausstrecken, der Verzetnitsch gibt ihm einfach keinen Termin, nur politischen Druck von der Straße.

Da ist es schon tragisch, dass es Dichand nicht gelungen ist, die beiden traditionellen "Volksparteien" zusammenzuführen, um eine gemeinsame Regierung zu bilden. Er hat halt ein Null-Durchschlagsvermögen, das kommt vom langen Hundestreicheln. Jetzt muss er sich jeden Tag beim Titelmachen quälen, weil er nicht weiß, ob er sich mit der "Krone" auf die Seite der Leser oder auf die der Obrigkeit stellen soll. Einmal heißt es neutral Jetzt Zweikampf Schüssel - ÖGB, dann Hoffnung: Proteste zeigen erste Wirkung! War leider falsch, daher: Streiks, bis Regierung nachgibt! Aber auch vorbeugend Riesenzorn über Lkw-Blockade! Wen kümmert 's, wenn es weder Zorn noch Blockade gibt? Was sich jetzt wirklich ändert, weiß allein die "Krone", aber nicht genau: Pensionsreform noch zu stoppen. Jedenfalls: Jetzt geht es hart auf hart!, handelt es sich doch um die Größte Kraftprobe seit 50 Jahren!

Gemeint war die Kraftprobe vom Oktober 1950, ein eher unpassender Vergleich. Damals versuchten die Kommunisten in einer Großaktion - manche meinen sogar, in einem Putschversuch -, die Unzufriedenheit über die Lohn- und Preisabkommen auszunutzen. Der ÖGB übte damals freilich Schulterschluss mit der schwarz-roten Regierung. Den Vogel hat aber ohnehin "Die Presse" abgeschossen, deren Wochenend-Aufmacher einen totalen Relaunch des Pensionssystems vorsieht: Sensationeller Vorstoß eines Experten - "Jeder sollte bis 80 arbeiten". Das große Vorbild dieses Experten kann nur Hans Dichand gewesen sein. (DER STANDARD, vom 6.5.2003)