Die Streikmaßnahmen am Dienstag waren längst noch nicht alles. Der Gewerkschaftsbund plant weitere Maßnahmen, sollte die Regierung nicht einlenken. Vor der geplanten Beschlussfassung der Pensionsreform im Parlament ist eine Großkundgebung in Wien angesetzt.
Österreich hat kaum Erfahrungen mit Streiks, daher wussten viele Mitarbeiter in den Betrieben auch nicht, wie denn eigentlich zu streiken sei. In Betriebsversammlungen wurde erst einmal eines geklärt: Zu Hause bleiben, ausschlafen und nicht zur Arbeit zu gehen ist kein Streik. Trotz der geringen Erfahrung sind die Streiks flächendeckend: Am Montag legten die Drucker die Arbeit nieder, in der Nacht auf Dienstag wurde der Güterverkehr eingestellt, am Dienstag streiken schließlich von Polizei und Gendarmerie bis hin zum öffentlichen Nahverkehr die Bediensteten.
AHS-Lehrer streiken ebenso wie Postbusfahrer, die Sommerbäder sind vormittags geschlossen, in den Wiener Spitälern und Pflegeheimen wird statt der vollen Menü-Auswahl nur vegetarische Kost angeboten. In ganz Österreich beteiligen sich mehr als 500 Betriebe an den Streiks, darunter so große Unternehmen wie Philips, Infineon, Voestalpine, Siemens oder Henkel. Auch die Banken schließen sich an.
Gremien tagen
Die Forderung des ÖGB ist klar: Die Regierung muss die umstrittene Pensionsreform zurückziehen und möge in Verhandlung mit den Sozialpartnern bis zum September gemeinsam ein neues Konzept erarbeiten. Den Streikbeschluss fällte der Vorstand des ÖGB. Was nach dem Dienstag passieren wird, ist noch unklar. Der Streikbeschluss bleibt aufrecht, eine Festlegung des ÖGB, was in den nächsten Tagen noch passieren könnte, wurde nicht getroffen. "Zu dieser Frage werden die Gremien tagen", sagt Richard Leutner, Leitender Sekretär des ÖGB, und er betont: "Weitere Streiks sind möglich."
Was die Gewerkschaft unternehmen will, wenn die Regierung nicht auf ihre Forderungen einsteigt, ist offen. Über Details weiterer Maßnahmen lässt sich der ÖGB derzeit nicht aus. Der Effekt von gewerkschaftlichen Maßnahmen liegt auch in deren Überraschungsgrad. Das gilt auch für die Straßenblockaden, die erst am Montag für Dienstag angekündigt worden, wie für die Streikmaßnahmen im Bereich der Exekutive und des Zolls, die ebenfalls überraschend angesetzt wurden.
Großkundgebung
Fest steht derzeit nur eines: Am 13. Mai wird in Wien eine Großkundgebung gegen die Reformmaßnahmen der Regierung stattfinden, zu der zehntausende Menschen erwartet werden.
Die Regierung hält noch unbeirrt an ihrem Fahrplan fest und hat angekündigt, keinesfalls dem Druck der Straße weichen zu wollen. Als nächsten Schritt wird Finanzminister Karl-Heinz Grasser noch diese Woche das erste Doppelbudget der Regierung Wolfgang Schüssel II vorlegen. Dieses soll bereits heute, Diens 3. Spalte tag, im Ministerrat abgesegnet werden. Veröffentlicht werden sollen die Details aber erst am Mittwoch im Rahmen der Budgetrede im Parlament.
Der Beschluss der Pensionsreform, die in den Budgetbegleitgesetzen untergebracht ist, soll am 4. Juni im Parlament erfolgen.
Entlassungsgrund?
Der Salzburger Vizepräsident der Arbeiterkammer, Siegfried Pichler, wies Aussagen zurück, wonach die Beteiligung am Streik ein Entlassungsgrund seien. "Bei Wolfgang Mazal handelt es sich um einen ,Auftragsschreiber der Regierung’", meinte er zu den Aussagen des Arbeitsrechtlers, der meint, dass Streiks ein Entlassungsgrund seien, sollten sich Beschäftigte daran beteiligen. Pichler ist nach wie vor der Ansicht, dass Kündigungen oder Entlassungen wegen einer Teilnahme an solchen Aktionen rechtswidrig sind. Der AK-Vizepräsident warb noch einmal um Verständnis bei der Bevölkerung. "Wir kämpfen für die Existenzsicherung der Arbeitnehmer im Alter."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.5.2003)