Frankfurt - Für eine Zinssenkung bräuchte die Europäische Zentralbank (EZB) noch Argumente in Form harter Daten; daher wird die EZB noch mindestens bis Juni abwarten, sagen Analysten. Dann liegen ihre neuen Projektionen zu Wachstum und Inflation vor. Der EZB-Rat entscheidet am Donnerstag das nächste Mal über die Zinsen in der Eurozone, zwei Tage nach der US-Notenbank, von der auch keine weitere Reduktion des mit 1,25 Prozent historisch niedrigen Leitzinses erwartet wird.
Die EZB hatte vorsichtiger als die US-Notenbank mit Leitzinssenkungen um insgesamt 2,25 Prozentpunkte seit Mai 2001 auf die anhaltende Konjunkturflaute reagiert. Zuletzt verringerte sie den Schlüsselzins im März um 25 Basispunkte auf 2,50 Prozent.
Keine Hinweise von EZB-Spitze
Von der EZB-Spitze selbst gab es weder ein Signal für eine unmittelbar bevorstehende Lockerung der Zinsen noch einen Wink, dass es dazu nicht mehr kommen wird. Bislang bleibt die Notenbank, wie Vizepräsident Lucas Papademos kürzlich bekräftigte, bei ihrem Szenario einer Wachstumsbelebung im zweiten Halbjahr und einem gleichzeitigen Inflationsrückgang unter zwei Prozent.
"Die EZB ist noch immer offen für eine geldpolitische Lockerung, aber sie will einen guten Grund dafür haben", sagt Adolf Rosenstock, Volkswirt von Nomura International. Die Aussichten für die Wirtschaft weltweit und in der Eurozone seien auch nach dem Ende des Irakkrieges, der die notorische Verunsicherung der Wirtschaftsakteure noch steigerte, nicht klarer geworden. Mit der Ausbreitung der Lungenkrankheit Sars in Asien komme zu den bekannten fundamentalen Rückschlag-Gefahren ein neuer Risikofaktor hinzu, befürchtet Rosenstock.
Erleichterungsrallye ausgeblieben
Mit Kriegsende im Irak können zwar die Horrorszenarien von drastischen Ölpreisanstiegen und Kurseinbrüchen beiseite gelegt werden. Dennoch zeichnet sich bisher weder eine Erleichterungsrallye an den Börsen ab noch ein Nachlassen der großen Skepsis der Verbraucher und Unternehmer. Das Platzen der Spekulationsblase an den Aktienmärkten ist noch nicht verkraftet, und die Folgen von Sars sind unklar, so Rosenstock. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 6.5.2003)