Das Podium im Burgtheater (v. li.): Rolf Tophoven, Joachim Gauck, Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid, Hans-Christian Ströbele und Otto Schily.

Foto: Standard/Robert Newald

Wie viel Überwachung verträgt der Staat bei Terrorgefahr? Darf die Presse alles von Wikileaks übernehmen? Über (Bürger-)Rechte in unsicheren Zeiten diskutierte am Sonntag eine prominente Runde im Wiener Burgtheater.

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Joachim Gauck ist ein besonnener Mann. Am Sonntagvormittag, im Wiener Burgtheater, jedoch entfährt dem DDR-Bürgerrechtler und ehemaligen rot-grünen deutschen Präsidentschaftskandidaten bald ein empörtes "Das ist unerhört!" Der so gescholtene Hans-Christian Ströbele, "linker" deutscher Grüner der ersten Stunde, nimmt es gelassen. Er muss sich im Laufe der Debatte noch Härteres anhören.

Es ist ein heikles Thema, das das hochkarätige Panel unter Leitung von Standard -Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid im Rahmen der Reihe "Europa im Diskurs" diskutiert: "Bedrohte Freiheit - Überwachung und Terrorangst im Rechtsstaat." Oder anders gefragt: Dürfen Bürgerrechte zugunsten der Verteidigung von Sicherheit gekappt werden? Und: Wie weit darf die Informationsfreiheit der Presse in unsicheren Zeiten gehen? Ebenfalls auf der Bühne: Der ehemalige deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) und Terrorismus-Experte Rolf Tophoven.

Im Gespräch ist natürlich Wikileaks mit seinen umstrittenen jüngsten Enthüllungen der US-Diplomatendepechen, aus denen Medien nun weltweit zitieren. "Richtig und wichtig" findet Ströbele diese. Denn: "Das ist Pressefreiheit, diesen Mut muss man haben." Das eben empört Gauck. Er weist darauf hin, dass es sich bei den Daten um gestohlenes Material handelt. "Das kann ich nicht akzeptieren, dass das gefeiert wird, das ist ein elementarer Verlust von Recht."

Dann ein Vorgang mit Seltenheitswert: Schily, einst auch ein Grüner, muss seinem alten Kampfgefährten und nunmehrigem Widersacher Ströbele ein bisschen Recht geben: "Wenn man durch solche Veröffentlichungen erfährt, wie es etwa wirklich in Abu-Ghraib zugeht, dann bin ich schon dafür." Die aktuellen Enthüllungen jedoch bezeichnet er als "Katastrophe für die Diplomatie" . Schily findet auch nicht, dass die Presse alles veröffentlichen darf, was ihr zugespielt wird: "Nicht wenn dadurch aktuelle Ermittlungsverfahren gefährdet werden."

Tophoven hingegen sieht das Problem anderswo: "Die USA sind seit den Anschlägen vom 11. September 2001 traumatisiert und sammeln alle Daten, die sie bekommen können. Wenn, wie im Falle der Wikileaks-Dokumente, drei Millionen Menschen Zugriff haben, dann ist keine Diskretion mehr zu wahren. Das ist ein inneramerikanisches Problem."

A propos Datensammeln. Das wollen auch Staaten in Zeiten erhöhter Terrorgefahr. Im Visier: Telekommunikationsdaten, die länger als bisher gespeichert werden sollen. Schrecklich findet Ströbele das: "Es darf nicht sein, dass eine aktuelle Warnung vor erhöhter Terrorgefahr wie wir sie in Deutschland haben, dazu missbraucht wird, Freiheitsrechte einzuschränken."

"Ich sehe keine Einschränkung" , erwidert Tophoven und erklärt: "Wenn eine klare nachrichtendienstliche Lage vorliegt, dann muss der Staat handeln." Der islamistische Terror sei eine "Weltbedrohung" , Terroristen operierten "mit Hightech und Kalaschnikow" , da müsse man auch "mit Hightech darauf reagieren."

Gauck möchte derlei Maßnahmen zumindest erklärt bekommen: "Wenn der Staat Rechte beschneidet, dann muss es verhältnismäßig sein. Ich will tragfähige Belege, was das Ganze bringt." Da kann Ex-Innenminister Schily aushelfen: Jene vier Algerier, die im Jahr 2000 einen Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt geplant hätten (der dann vereitelt wurde), hätte man "nicht ohne Telekom-Überwachung gefasst" . Ströbele widerspricht, worauf Schily recht unwirsch wird.

Moderatorin Föderl-Schmid würde nun auch gerne wissen, ob eine konkrete Zahl von Fällen vorliegt, wo die Speicherung von Telekommunikationsverbindungen zur Festnahme von Terroristen geführt habe. "Die gibt es sicher" , sagen Schily und Tophoven unisono. Nur leider hat sie gerade niemand parat.

Problematisch sei ja nicht das Ausspähen von Terroristen, meint Ströbele. Ihn stört, dass bei der Speicherung von Telefon- und Internetverbindungen so getan werde, als seien "82 Millionen Deutsche Schwerverbrecher", deren Daten man zur Strafverfolgung brauche. "Was ist dagegen einzuwenden, wenn man ein Verbrechen aufklären will?" ruft daraufhin Schily erbost und wird von Tophoven unterstützt: "Man kann das doch nicht so darstellen, als gebe es den orwellschen Überwachungsstaat."

Auch Gauck findet, dass Ströbele da eine "hysterische Welle aufbaut" , warnt aber einmal mehr davor, die Bürgerinnen und Bürger über neue Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf nicht genug aufzuklären: "Sie müssen wissen, dass etwa die Speicherung von Telekommunikationsdaten nicht der Beginn eines Spitzelstaates ist." Da ist er sehr sensibilisiert, die "Übermacht der herrschenden Klasse" habe man in der DDR jahrzehntelang erdulden müssen, sagt der Bürgerrechtler

Ein "schlagendes" Argument dafür, warum die EU-weit propagierte Vorratsdatenspeicherung doch in Ordnung sei, liefert Schily dann noch: "Mit Verlaub, Herr Ströbele, der Sachverstand aller europäischen Innenminister ist sicher etwas größer als der eines grünen Abgeordneten."

Und es könnte ja noch privater, ja sogar intimer werden bei der Terrorbekämpfung. Was halten die Diskutanten also von sogenannten Nackt-Scannern, von denen an US-Flughäfen schon 69 eingesetzt werden? Terrorforscher Tophoven hat diesbezüglich wenig Scham und Berührungsängste: "Ich bin für solche Geräte, wenn damit verhindert wird, dass ich von Terrormaßnahmen betroffen werde." Dann erzählt er von einem Nacktscanner am Moskauer Flughafen, den er schon durchlaufen habe. "Tophoven: "Wenn es mir keiner gesagt hätte, hätte ich es überhaupt nicht gewusst."

Gauck bekennt, dass ihm das "völlig schnurz-egal" wäre, er gehe ja auch auf den FKK-Strand. Und vielleicht könne man "die kostbaren Geschlechtsteile verdecken". Nein, das sei unmöglich, klärt Ströbele auf. Er hält Nacktscanner für unsinnigen "Aktionismus" . Denn: Wozu Nacktscanner bei Passagieren, wenn man andererseits das Frachtgut nicht ordentlich kontrolliere? Das sei vor einigen Wochen anhand der Paketbomben aus dem Jemen deutlich geworden. Trotz Durchleuchtung habe man den Sprengstoff zunächst nicht gesehen.

Schily, in dessen Amtszeit als deutscher Innenminister (1998 bis 2005) die Verschärfung vieler Anti-Terrorgesetze fiel (Stichwort "Otto-Katalog"), mag sich mit den Nacktscannern auch nicht recht anfreunden: "Das muss man abwägen. Ich wäre nicht dafür, dass sich dann alle entkleiden. Da wäre eine Grenze überschritten."

Bedauerlich findet die Runde übrigens, dass Innenministerin Maria Fekter (VP) ihre Teilnahme an der Diskussion wieder abgesagt hat. Doch für sie und andere besorgte Österreicher hat Tophoven noch einen Trost: "Österreich ist für den islamistischen Terrorismus nicht relevant." (Birgit Baumann/DER STANDARD. 6.12.2010)