Die Idee zu den goldenen Ornamenten auf dem Schleier im Vordergrund seiner "Danaë" kam Gustav Klimt bei den medizinischen Vorträgen im Salon von Bertha Zuckerkandl.

Illustration: Sammlung Dichand

Es ist das unbestrittene Prunkstück der an Meisterwerken nicht gerade armen Sammlung Dichand. Als der Krone-Chef noch lebte, hing die auf rund 40 Millionen Euro geschätzte Danaë angeblich über dem Kamin seiner Döblinger Villa. Vermittelt hatte den Ankauf Dichands langjähriger Nachbar, der ebenfalls heuer verstorbene Kunstsammler Rudolf Leopold.

Das Bild, an dem Gustav Klimt 1907/08 arbeitete, war nicht zuletzt aufgrund seines pikanten mythologischen Inhalts Gegenstand unzähliger kunsthistorischer Analysen. Titelheldin des Gemäldes ist die legendäre Prinzessin von Argos und Tochter von Akrisios. Gewarnt vom Orakel ("Dein Enkel wird dich töten"), verwahrt der König von Argos sein einziges Kind in einem Verlies.

Doch Danaë wird von Zeus begehrt - und der findet natürlich einen Zugang zu ihr: Der Göttervater verwandelt sich in einen Regen aus Goldmünzen und schwängert die Prinzessin, die neun Monate später Perseus gebiert. Und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Sinnbild käuflicher Liebe

Unter den zahlreichen künstlerischen Darstellungen (allein von Tizian gibt es drei Fassungen) der Zeugungsszene, die in der christlichen Rezeption als Sinnbild käuflicher Liebe gedeutet wird, nimmt Klimts Bild eine Sonderrolle ein: Seine Danaë wurde von Kunsthistorikern als narzisstisch und autoerotisch interpretiert, während das männliche Prinzip - der Goldregen zwischen den mächtigen Schenkeln - bloßes Ornament ist.

Rätsel gaben bisher aber die Ornamente im Bildvordergrund auf: Von Kunsthistorikern wurden sie als "ovale Formen" oder "goldene Filigran-Schreiben" gedeutet, in anderen Analysen als "chromosomenförmig" und "goldene Spermien" beschrieben.

Als der US-Entwicklungsbiologe Scott Gilbert allerdings eine Reproduktion der Danaë sah, erkannte er darin sofort Blastozysten. Das sind jene kugelförmigen Anordnungen von embryonalen Stammzellen um einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum, die sich drei bis vier Tage nach der Befruchtung bilden.

Doch konnte es tatsächlich sein, dass Klimt zu Beginn des 20. Jahrhunderts über so viel embryologisches Wissen verfügte, dass er wirklich Blastozysten malte? Um diese Frage zu klären, wühlte sich die an der estnischen Universität Tartu tätige Biologiehistorikerin Sabine Brauckmann durch Wiener Archive. Und tatsächlich fand sie nach langer Suche den Beweis, dass Klimt die Anregung dazu im großbürgerlichen Künstlersalon von Bertha Zuckerkandl bekam.

Bertha Zuckerkandl, eine umtriebige Publizistin, war Gattin des berühmten Anatomen Emil Zuckerkandl. Und im Rahmen der Salonabende gab es für die Künstlerfreunde wissenschaftliche Vorträge, bei denen es auch Dia-Projektionen von Blutgefäßen, Hirnzellen und anderen mikroskopischen Wundern zu bestaunen gab.

Dieser Austausch zwischen Kunst, Wissenschaft und Medizin war damals nicht nur im Wien um 1900 geläufiger als heute: Gilbert und Brauckmann zeigen in ihrem Aufsatz, der im Frühjahr 2011 in der MIT-Kunstzeitschrift "Leonardo" erscheint, auch an Gemälden von Diego Rivera und Frida Kahlo, wie sehr Künstler im frühen 20. Jahrhundert auf das embryologische Wissen der Zeit rekurrierten.

Und dieser Wissenstransfer war alles andere als einseitig: Denn auch die damalige Embryologie war ihrerseits von ästhetischen Begriffen wie Symmetrie, Formation oder Rhythmus durchwirkt. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. 12. 2010)