Im Kindergarten will Pfarrer Schrei "keine Märchen erzählen".

Foto: derStandard.at/Blei

Der Krampus ist in den meisten Kindergärten nicht erwünscht.

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Dem Anlass angepasst, erzählt Schrei jedes Mal eine neue Version der Nikolaus-Legende.

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Im Vinzidorf teilt der Pfarrer Dosenbier an Obdachlose aus.

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Nicht "Arzt im Dienst", sondern "Nikolaus im Dienst" heißt es am sechsten Dezember.

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In der Seniorenresidenz wird Pfarrer Schrei sogar am Klavier begleitet.

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Jedes Jahr vor dem sechsten Dezember beginnt die Diskussion in Wien von neuem: Darf der Nikolaus in Kindergärten kommen oder nicht? Mittlerweile steht es den Pädagoginnen frei, den frommen Mann einzuladen. In Graz gibt es diese Debatte nicht. Hier verkleiden sich alljährlich Pfarrer, Jungscharführer und Freiwillige, um die Tradition fortzusetzen. So auch Pfarrer Hans Schrei aus der Pfarre St. Leonhard in Graz, seit mittlerweile über 27 Jahren.

"Wichtig ist, dass der Nikolaus kein Erziehungs-Wauwau ist und den Eltern diese Aufgabe abnimmt", sagt Schrei. "Er soll nicht tadeln, denn wenn er das tut, dann müsste er auch die Fehler der Eltern aufzählen, nicht nur die der Kinder." In der heutigen Zeit, sei der Nikolaus "zum Kinderspiel verkommen, aber ich gebe offen zu, auch ich lasse mich dafür missbrauchen." Schreis Zeitplan ist vor allem am sechsten Dezember dicht gedrängt. Von neun Uhr früh bis acht Uhr am Abend gibt es keinen freien Termin mehr auf seiner Liste.

"Klassiker": Kindergarten

Schreis erster "Nikolausauftritt" findet im benachbarten Pfarrkindergarten statt. Doch anstatt die Kinder in dem Glauben zu lassen, dass der "echte Nikolaus" vor ihnen steht, betritt er zuerst "zivil" den Gruppenraum. "Ich will den Kindern kein Märchen erzählen, sondern sie ermutigen, genauso auf ihre Mitmenschen zu schauen, wie es der Heilige Nikolaus gemacht hat", erklärt Schrei. Deshalb ziehe er sich auch am liebsten erst vor den Kindern das Kostüm an.

"Immerhin ist erwiesen, dass Kinder bis zu drei Jahren nicht hinter eine Maske sehen können und das muss man nicht ausnutzen", sagt der Pfarrer. Nach ein paar Legenden rund um den Nikolaus und verteilten Sackerl an die Kleinen, muss Schrei auch schon weiter. Am Vormittag warten noch zwei weitere Kindergärten auf ihn.

Interessenskonflikt

Bei der zweiten Station, einem städtischen Kindergarten, kommt es schließlich zu einem Interessenskonflikt zwischen Pfarrer und Pädagogin. Die ältere Dame besteht darauf, dass sich der Nikolaus schon vorher verkleidet. "Da sieht man wieder, dass es unterschiedliche Erziehungsmethoden in den Generationen gibt", so Schrei und fügt hinzu: "Aber wenn sie denkt, dass ich den Kindern was vorspiele, dann hat sie sich gehörig getäuscht."

Sprach's und eröffnete den Kindern nach ein paar einleitenden Worten das Todesdatum des echten Nikolaus. Die Pädagogin versucht noch zu intervenieren: "Der Nikolaus hat heimlich was in eure Sackerl gepackt." Vergeblich, denn die Kinder haben die Maskerade schon durchschaut. "Ich weiß, dass du verkleidet bist", ruft ein Junge.

Nikolaus kein weißer Mann?

Es folgt ein Aufenthalt in einem Privatkindergarten in der Innenstadt. Eines der Kinder macht den Pfarrer dabei auf seinen fehlenden langen Rauschebart aufmerksam. Schrei antwortet dem Mädchen: "Man weiß ja nicht, wie der Nikolaus wirklich ausgesehen hat." Doch die Kleine lässt sich von ihrem eingeprägten Bild nicht abbringen. Später sagt der Pfarrer im Gespräch: "Wahrscheinlich war es sowieso nicht einmal ein weißer Mann, schließlich hat er in der heutigen Türkei gelebt."

In "Zivil" bei der Caritas

Vor dem Mittagessen lässt es sich Pfarrer Schrei nicht nehmen, einen Zwischenstopp bei der Caritas einzulegen. Er schleicht in jedes Büro und schenkt Freiwilligen und Angestellten eine Goldene Schokokugel mit "den besten Grüßen vom Nikolaus". Immerhin kennt der Pfarrer die Arbeit der Caritas gut. So hilft er bei der Betreuung eines Projektes in Indien, mit dem indische Familien sechs Jahre lang unterstützt werden. Die Dauer ist limitiert, denn "danach sollten sie ohne Spenden auskommen können".

Vor rund 25 Jahren initiierte Schrei auch das Projekt "Nikolaus echt". Bei diesem Projekt werden alljährlich bedürftige Familien, die von der Caritas betreut werden, mit Geschenken überrascht. Dabei finden sich unter den Gaben sowohl Nahrungsmittel als auch ein Frisörgutschein für die Dame des Hauses. "Für mich ist ein Geschenk erst dann ein Geschenk, wenn etwas Nichtalltägliches dabei ist", erzählt Schrei. Trotzdem hätte gerade dieser Frisörgutschein oft zu Diskussionen geführt, "ob denn so etwas überhaupt notwendig sei."

Nikolaus für Obdachlose

Doch nicht nur sozialschwache Familien besucht der Nikolaus, sondern auch die Bewohner des Vinzidorfes, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche befindet. In dieser Einrichtung wohnen alkoholkranke Obdachlose, die keine Chance mehr auf einen Entzug haben. Hat Pfarrer Schrei am Vormittag noch Schokoladenfiguren ausgeteilt, gibt es nun für jeden Bewohner eine Dose Bier. "Auch diese Leute haben ein Recht auf den Nikolaus", ist sich Schrei sicher. Er kennt die Obdachlosen sehr gut. Als er vor drei Jahren Pfarrer in Graz wurde, habe er eine Woche lang mit ihnen in den Containern gelebt. Die Erkenntnis, die er daraus gewonne habe, sei, dass es für die Bewohner sehr schwer wäre, da sie keine Beschäftigung hätten. Deshalb "borge" er sich immer wieder Obdachlose für kleine Arbeiten in der Pfarre aus.

Altersgerechte Versionen der Legende

Nach einem Besuch im Tagesheim des Seebacher-Gymnasiums in St. Leonhard, ist Pfarrer Schrei auch zu Gast in der Seniorenresidenz "Sinnleben". Vor rund zwanzig pflegebedürftigen, alten Menschen, erzählt der Nikolaus die Legenden rund um den Heiligen nun hörbar lauter. Wie schon den ganzen Tag über, passt Schrei auch diesmal die Geschichten an sein Publikum an.

Bei den Kindern etwa erzählte er die Geschichte von den drei Buben, die ohne die Hilfe des Nikolaus auf offener See ertrunken wären. Bei den Obdachlosen berichtete er von einem Fleischhauer, der drei Buben getötet und zerstückelt haben soll, bis der Heilige sie wieder zum Leben erweckte. Im Gymnasium sprach er dann von gerechter Güterverteilung und drei jungen Frauen, die in die Prostitution geschickt werden sollten, bis ihnen Nikolaus half.

Im Altersheim wiederum erinnert er die Anwesenden daran, trotz Krankheit, die schönen Seiten des Lebens zu genießen. Verabschiedet wurde er von allen Terminen des Tages aber mit demselben Lied: "Lasst uns froh und munter sein". Dazu Schrei: "Mit der Zeit kann das schon anstrengend werden, aber das gehört nun mal dazu." Wie der Bischofsstab, den er am Abend dann wieder für ein Jahr an die Wand lehnt. (Bianca Blei, derStandard.at, 7.12.2010)