Sven Gábor Jánszky lehrt den Regelbruch

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Der deutsche Strategietrainer und Buchautor Sven Gábor Jánszky erzählt in seinem neuen Buch "Rulebreaker - Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern" die spannenden Geschichten von zehn der interessantesten Regelbrecher der deutschen Wirtschaft. Im Interview mit Marietta Türk erklärt er, wie das Brechen von Regeln und Querdenken im Sinne von Innovation funktioniert. 

derStandard.at: Sie haben in Ihrem Buch Persönlichkeiten porträtiert, die neue Märkte entdeckt haben und andere aufgrund ihres Regelbruchs fast verdrängt haben. Welchen Regelbruch fanden Sie persönlich am mutigsten?

Sven Gábor Jánszky: Einer der mutigsten war sicherlich der Hamburger Reeder Horst Rahe. Vor ihm hatten Kreuzfahrtreisen in Deutschland den Ruf elitärer Senioren-Teezirkel. Rahe erkannte als einziger, dass diese Regel im Kreuzfahrtmarkt gebrochen werden kann, indem er den Kreuzschifffahrtsmarkt mit pauschalen Clubangeboten für ein junges Publikum aufmischte. Die Geschichten der anderen Rulebreaker sind ähnlich gelagert, wenngleich jede auf ihre individuelle Weise. Sie haben durch ihre Regelbrüche neue Märkte entdeckt, ganze Branchen an den Rand des Abgrunds gebracht, teilweise Millionen verdient. Das hat allerdings auch seinen Preis: vom drohenden Bankrott bis hin zu Morddrohungen war alles dabei.

derStandard.at: Was macht "Rulebreaker" aus und warum sind sie erfolgreich?

Jánszky: Viele Regeln, denen wir uns tagtäglich unterwerfen, sind Regeln die wir uns selber auferlegen oder von denen wir annehmen, dass sie in der Gesellschaft als allgemein gültig gelten. Es sind häufig eingefahrene Regeln des Establishments, gegen die Rulebreaker als erstes aufbegehren. Etwas, das fast alle Regelbrecher als wichtigstes Erfolgskriterium benannt haben, ist es, so lange gegen diese Wand zu laufen, bis die Wand umfällt. Die größten Innovatoren unserer Zeit sind keine außerordentlichen Experten. Sie wissen nicht mehr als andere und können nicht mehr als ihre Nachbarn. Aber diese Leidensfähigkeit und zugleich die Lust am Durchsetzen einer Veränderung gehört zu den hervorstechendsten Eigenschaften des Rulebreakers.

derStandard.at: Gehören die Gründer von Social Businesses auch zu den Rulebreakern?

Jánszky: Die Gründer von Social Businesses betreiben ein hartes Geschäft fernab jeder Sozialromantik. Der Regelbruch dahinter heißt: Kommerzwelt und Sozialwelt gehören zusammen. Dabei wird nicht weniger als eine der Grundregeln des marktwirtschaftlichen Unternehmertums gebrochen. Nehmen wir das im Buch beschriebene Beispiel vom Gründer des ersten und erfolgreichsten deutschsprachigen Spendenportals. Sein Unternehmen soll klar gewinnorientiert arbeiten und auch er als Manager will gut bezahlt werden. Ein "normales" Unternehmen also. Nur, dass beim Social Business die Unternehmensziele grundsätzlich einen sozialen Charakter haben müssen und zum gesellschaftlichen Mehrwert beitragen müssen. Am Ende des Jahres werden die Gewinne also nicht an Gesellschafter oder Aktionäre ausgeschüttet, sondern komplett zum weiteren Ausbau der Unternehmensziele reinvestiert. Das ist die Grundbasis, die Nobelpreisträger Muhammad Yunus geschaffen hat.

derStandard.at: Sie haben eine Rulebreaker-Agentur gegründet. Was lernen Unternehmenschefs in Ihren Trainings?

Jánszky: Es gibt ein großes Missverständnis, wenn Unternehmenschefs an Innovationen denken. Denn sie lieben ausschließlich die schwachen Innovationsarten wie "Produktverbesserungen" oder "Facelifts". Auf starke Innovationen wie "Geschäftsmodell-Änderungen" oder "Mission Change" reagieren sie eher allergisch. Das ist erstaunlich, denn die messbaren Renditen von starken Innovationen sind mehr als doppelt so hoch, wie Renditen auf schwache Innovationsarten.

Im Klartext: Die Mehrheit der Unternehmenschefs macht einen gewaltigen Fehler und verbrennt Innovationskapital. Dieses Paradoxon ist der Grund, warum Rulebreaker so wichtig für die Entwicklung unserer Welt sind - sie treiben starke Innovationen. Die Rulebreaker-Agentur ist auf die starken Innovationsarten spezialisiert. Wir führen unsere Kunden durch bewusste Regelbrüche zu neuen Märkten und neuen Geschäftsmodellen. Rulebreaking ist aber keine Frage von Prozessen sondern von Menschen. Aus diesem Grund verändern wir die Innovationskultur in den Unternehmen. Wir bringen die Unternehmenschefs zusammen mit jenen Rulebreakern, die die Geschäftsmodelle der Zukunft entwickeln.

derStandard.at: Funktioniert "Rulebreaking" nicht nur für Unternehmer, sondern auch für Manager?

Jánszky: Im Vergleich zu Unternehmern, die sich häufig nur selbst Rechenschaft abzulegen haben, verhalten sich Manager oft scheu. Sie denken dann, wer die Verantwortung hat einen großen Tanker zu lenken, der darf nicht als Pirat agieren. Doch das ist ein Fehler! Richtig ist: Kein Unternehmen wird auf Dauer Marktführer bleiben. Es ist besser, selbst das eigene Geschäftsmodell anzugreifen, als wenn es andere tun. Deshalb müssen Manager einen Perspektivwechsel wagen. Wir führen diese zu einer Piratenstrategie, bei der der Tanker durch zwei bis drei Piraten-Schnellboote mit Rulebreakern umgeben wird. Dann ist der Manager vielleicht nicht mehr Tankerkapitän, sondern Flottenadmiral.

derStandard.at: Die zehnte Regel Ires Rulebreaker-Manifests heißt: "Versuche jeden Tag gefeuert zu werden!" Was ist so gut an diesem Versuch?

Jánszky: Das "Gefeuert werden" ist eine Metapher dafür, jederzeit das Erreichte und die aktuellen Regeln in Frage zu stellen. Erfolgreiche Menschen - egal ob im Beruf oder privat - haben nie das Gefühl, bereits am Ziel zu sein. Rulebreaker geben sich nie zufrieden. Sobald sie ein Ziel erreicht haben, sind sie in Gedanken schon bei der nächsten Herausforderungen. Für sie ist Sisyphos ein glücklicher Mensch, wie jener Rulebreaker, der den Strom in Deutschland "gelb" machte, sagt.

Es ist vielleicht nicht immer einfach mit einem solchen Menschen zusammen zu leben, aber es ist faszinierend und spannend. Und wir stellen fest: Wer daran arbeitet gefeuert zu werden, wird oft zur wichtigsten Person. (derStandard.at, 31.1.2011)