Man kann die Misere Italiens an den politischen Entwicklungen festmachen, man kann sie aber auch auf Zahlen herunterbrechen. Sollte die Regierung um Silvio Berlusconi am Dienstag die umstrittene Bildungsreform im Zuge des Budgetplans 2011 durch den Senat winken, sieht das Trauerspiel in Zahlen ausgedrückt unter anderem so aus: 130.000 Jobs weniger in den Lehrer- und Verwaltungsstellen. Acht Milliarden Euro Einsparungen bei den Schulen, 700 Millionen Euro-Minus im universitären Bereich. Neu besetzt wird dann nur mehr eine von fünf Professorenstellen, alle bisherigen Stellen für Forschungsassistenten abgeschafft. Der Kulturhaushalt wird um 40 Prozent heruntergefahren, tausende Arbeitsplätze fallen im Kulturbereich weg, in den ohnehin bereits vor den Einkürzungen nur knappe 0,2 Prozent des italienischen Haushalts fließen, so wenig wie sonst kaum in einem anderen Teil der reichen Welt (Österreich: 0,6 Prozent, Spanien: 2,5 Prozent).

All das sind drastische Einschnitte in ohnehin chronisch unterfinanzierten und an allen Ecken und Enden krankenden Bereichen. Und es sind Einschnitte, die besonders tragisch sind für ein Land, in dem die Universitäten europäischen Zuschnitts einst gegründet worden sind und das sich als Wiege der abendländischen Kultur sieht. Bei einem öffentlichen Schuldenstand von 1,8 Billionen Euro (115,8 Prozent des BIP) führt kein Weg am Sparen vorbei. Das Abbauen der öffentlichen Verschuldung darf nicht durch gänzlich willkürliche Kürzungen im Bildungs- und Kulturbereich erfolgen. Denn der Regierungschef verwaltet ein Land, das die höchste Verschuldung Europas (Griechenland mit 115,1 Prozent des BIP auf Platz Zwei), eine der niedrigsten Investitionsraten in Bildung und Forschung aufweist und seinen begabten Nachwuchs ins Ausland treibt, während daheim jeder vierte Jugendliche arbeitslos gemeldet ist.

Nicht in einem Land, in dem Bildung aufgrund der schamlosen Politikerkaste keinen Stellenwert mehr hat, weil das Gefühl vorherrscht, dass ohne Korruption nichts mehr zu erreichen ist. In dem die öffentliche intellektuelle Debatte darniederliegt, die einst so bewunderte Intelligenz des Landes angesichts seines desolaten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustands allmählich abwandert oder sich auf wenige Persönlichkeiten zurückgezogen hat. In einem Land, das allmählich zur Mediokratie pervertiert, wo der Regierungschef mehr als 80 Prozent der italienischen Fernsehsender kontrolliert und dessen Einfluss wächst und wächst, während die Bürger, besonders die jungen, im westeuropäischen Vergleich nach den Griechen die meiste Zeit vor dem Fernseher verbringen, nämlich durchschnittlich vier Stunden und fünfzehn Minuten täglich. So weit das Versagen in konkreten Zahlen.

Die Maßnahmen der Mitte-Rechts-Regierung unter Berlusconi sind ein einziger Angriff auf Kultur, Wissen und Bildung. Knapp zwei Jahrzehnte unter Berlusconi haben das Land ruiniert, sein kulturelles Erbe im Besonderen, seine politische Kultur im Allgemeinen. Italien verfällt und verludert, auch kulturell, gesellschaftlich und intellektuell. Die großen Opernhäuser des Landes kämpfen ums Überleben, jeder Dritte in der italienischen Filmbranche bangt um seinen Job, zahlreichen Museen droht die Schließung. Laut dem Verband der Restaurateure befinden sich 900 nicht finanzierbare Projekte auf der Liste an dringend restaurationsbedürftigen Kulturgütern. In Pompeij verfallen antike Gebäude, der Präsident Giorgio Napolitano nennt das eine "Schande für Italien". Und Berlusconi will das Budget für Kunstdenkmäler um ein Viertel kürzen. In einem Land, in dem Tourismus rund zwölf Prozent des nationalen Bruttosozialprodukts ausmacht.

Neuer Penis

Und während der Regierungschef den Kulturhaushalt auf ein Rekordtief von 288 Millionen Euro herunterfährt, spendiert er der Mars-Statue im Regierungspalast in Rom um stolze 70.000 Euro einen neuen Penis - inklusive neuem Arm für die benachbarte Venus, der Proportionen wegen. Eine kostspielige Restauration aus eben jenem Kulturbudget, die außerdem laut der Tageszeitung „La Repubblica" den nationalen Restaurationsvorschriften widerspricht. Auf die Berlusconi allerdings persönlich bestanden habe. Wie auch schon vor zwei Jahren, als er das Gemälde „Die von der Zeit enthüllte Wahrheit" des Malers Giovanni Battista Tiepolo im Regierungssitz so umarbeiten ließ, dass die nackten Brüste der darauf abgebildeten Frau nunmehr bedeckt sind. In dem Saal, in dem die Regierung ihre Pressekonferenzen abhält, wolle man die Fernsehzuseher „nicht beleidigen", hieß es damals aus Berlusconis Büro.

Das ist mehr als zynisch, weil das ein Politiker sagt, dessen Medien sich so immens des weiblichen Körpers bemächtigen wie in keiner anderen westlichen Gesellschaft. Der im Ausland vor allem aufgrund seiner Schwächen für sehr, sehr junge Tänzerinnen und Prostituierte bekannt ist, was er erst gar nicht vor der Öffentlichkeit zu verstecken versucht. Berlusconis "barockes Verhältnis zu den Sitten" (Tagesanzeiger) spiegelt sich in den Sendungen seines Privatfernsehen wie auch in den ebenfalls von ihm kontrollierten staatlichen RAI-Sendern wieder: Billige Unterhaltung, einfache Botschaften, und „Veline", jene fast-nackten Frauen, die stets verlässlich in diversen Fernsehsendungen auftauchen. Die Strategie der Massenverblödung, die das Land in einen betäubten Zustand manövriert hat. Die es erlaubt, dass sich "Veline" als Erfolgsmodell etabliert haben, deren Ziel dann erreicht ist, wenn sie neben Fußballspielern in den Klatschspalten landen. Die Verbreitung einer Kultur, die auf Geld, Erfolg und Erotik beruht, und darauf, dass junge Mädchen sich in ihrer Zukunftsvorstellung lieber vor laufender Kamera zur allgemeinen Unterhaltung von einem Moderator auf den halbnackten Hintern klopfen lassen, als Wissenschaftlerin zu werden.

Auch das ein Ergebnis des kulturellen Abdriften des Landes und davon, dass Berlusconi sich nur dann für Kultur interessiert, wenn sie sich vermarkten lässt. Das gipfelte 2008 etwa bei der Besetzung des Chefs der damals gegründeten "Generaldirektion für die Aufwertung des Kulturbesitzes", die die knappen finanziellen Ressourcen effizient einsetzen sollte: Bestellt wurde, zum Entsetzen der Kunstwelt, der ehemalige Chef von McDonald's Italien. Dieser Schritt macht Sinn in der Welt des einstigen Entertainers Berlusconi. Dort, wo Kulturgut nicht mehr ist als eine Ressource, die Profit abwerfen soll. (Anna Giulia Fink, derStandard.at, 9.12.2010)