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Scharf geladen: Elf russische Journalisten haben allein in diesem Jahr gewaltsam ihr Leben verloren.
Bleibt Wikileaks-Chef Julian Assange hinter schwedischen Gardinen oder nicht - diese Frage kann nur die Justiz in Schweden klären. Denn dort hat der Anwalt zweier Frauen Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs erstattet. Bis zum rechtskräftigen Urteil gilt bekanntlich die Unschuldsvermutung. Seit 7. Dezember ist Assange in London inhaftiert, Stockholm hatte Interpol wegen des vorgeworfenen Sexualdelikts eingeschaltet. Hoffentlich tatsächlich nur deshalb und nicht, um auf diesem Weg ein Leck in das Internetmedium Wikileaks zu schlagen. Bei Wikileaks geht es nicht um Bettgeschichten, sondern um Medienfreiheit und Transparenz. Sicher fällt auf, dass Wikileaks derzeit vornehmlich US-Dokumente veröffentlicht. Tatsache ist, dass damit der globalen Öffentlichkeit schwarz auf weiß Informationen über den Hintergrund internationaler Politik zugänglich gemacht werden. Inzwischen wird auf allen Ebenen Druck auf Wikileaks ausgeübt. Für Reporter ohne Grenzen jedenfalls gilt auch bei Wikileaks die Unschuldsvermutung und das Recht auf Medienfreiheit, solange die Internetplattform nicht selbst Grenzen überschreitet.
Vor 25 Jahren wurde in der südfranzösischen Stadt Montpellier, Reporters sans Frontières gegründet. Längst ist Paris Sitz der Zentrale dieser Organisation zur Wahrung der Pressefreiheit. Längst sind auch die Reporter ohne Grenzen mit ihren Ländersektionen und Büros in aller Welt eine internationale NGO mit Beobachterstatus beim Europarat und der Unesco.
Seit neun Jahren klopft Reporter ohne Grenzen mit dem internationalen Pressefreiheit-Index 178 Staaten auf ihre Tauglichkeit in Sachen Medienfreiheit ab. Auffallend bei der jüngsten Analyse - dem Index 2010 für den Zeitraum August 2009 bis August 2010 - ist, dass fast in allen Staaten der EU Medienfreiheit mehr und mehr ihren Stellenwert verliert. Finnland nimmt Platz 1 ein, Österreich noch Platz 7. Das Schlusslicht bildet Eritrea. Russland, für dessen Medien der diesjährige "Press Freedom Award 2010 - Signal für Europa" von Reporter ohne Grenzen Österreich ausgeschrieben wurde, landete auf dem 140. Rang.
Eine "gelenkte Demokratie" nennt der russische Ministerpräsident Wladimir Putin sein Land. Die ukrainische Exiljournalistin Miroslawa Gongadze präzisiert: Die russische Förderation sei eine "kontrollierte Demokratie", in der das freie Wort nicht mehr garantiert ist und kritische Journalisten nicht mehr sicher sind. Ihre Sorge ist, dass Russland Vorbildcharakter für die neue ukrainische Regierung haben könnte. Gongadze ist die Witwe des vor zehn Jahren ermordeten prominenten Journalisten Georgi Gongadze. Noch immer ist der Mord nicht zur Gänze aufgeklärt. Auf den folgenden Seiten erklärt sie, weshalb.
Für immer ausgeschaltet
Elf russische Journalisten haben allein in diesem Jahr bereits gewaltsam ihr Leben verloren, zuletzt Jewgenij Fedotow am 23. Oktober in der Region Baikal. Mindestens 312 Journalistinnen und Journalisten wurden seit 1993 in der Russischen Föderation ermordet. Kaum ein Fall, der aufgeklärt wurde, selten ein Fall, der nicht politisch motiviert war. Das ist das erschütternde Ergebnis eines Forschungsprojekts der Stiftung zur Verteidigung von Glasnost gemeinsam mit dem Zentrum für Journalistik in Extremsituationen in Moskau. Als "Zensur durch Mord" definiert Freimut Duve, der Gründer des OSZE-Amts für Medienfreiheit, solche Journalistenmorde. Ein ganze Zunft soll so mundtot gemacht werden.
Doch selbst jene, die Mordanschläge überleben, können für immer ausgeschaltet bleiben. So wahrscheinlich auch Michail Beketow, der Chefredakteur der Zeitung Chimkinskaja Prawda, der in diesem Jahr den Press Freedom Award von Reporter ohne Grenzen Österreich erhielt. Seit einem Anschlag ist er schwer behindert. Er kann sein Haus nicht mehr verlassen und kann nicht mehr schreiben.
Die zweite Preisträgerin ist die 28-jährige Olga Bobrowa. Sie ist Redakteurin der Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta, für die auch die am 7. Oktober 2007 ermordete Anna Politkowskaja geschrieben hatte. Olga Bobrowa arbeitet in der Tradition ihrer Kollegin weiter. Sie kann auch im Namen von Michail Beketow an der Preisverleihung im Wiener Haus der Europäischen Union teilnehmen. Als Termin wurde der 10. Dezember, der internationale Tag der Menschenrechte, gewählt. Olga Bobrowas Text sowie der von Michail Beketow sind im ALBUM SPEZIAL nachzulesen.
Mehr als 30 Einreichungen hatte Reporter ohne Grenzen Österreich für den diesjährigen Press Freedom Award aus Russland erhalten. Allesamt waren diese beeindruckende, journalistische Arbeiten. Reporter ohne Grenzen Österreich dankt vor allem auch der Jury. Derselbe Dank gilt den Kooperationspartnern. Im kommenden Jahr wird der "Press Freedom Award - Signal für Europa" sein Zehn-Jahr-Jubiläum feiern. Er dient dem Einsatz für Menschenrechte und Medienfreiheit im Sinne der Grundrechtecharta der EU. Als Signal für die Preisträger. Als Signal für Europa. (Von Rubina Möhring, DER STANDARD; Printausgabe, Album-Spezial, 11/12.12.2010)