Schöne, offene Welt: US-Autor William Gibson

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Ein Schwarm aus Usern, die mit ihren Symbolen auf den durch die Graphic Novel V for Vendetta (1982/85) populär gewordenen britischen Verschwörer Guy Fawkes verweist, legt für die Idee eines offenen Internets Server lahm.

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In einem Kommentar für die New York Times, in dem es um die Ablöse Orwell'scher Überwachungszenarien durch zeitgemäßere Formen von Datenflüssen geht, schreibt der US-amerikanische Science-Fiction-Autor William Gibson, dass es demnächst für jeden so schwierig wie noch nie werden wird, ein Geheimnis zu bewahren: "Das ist es etwas, worauf ich jeden Diplomaten, Politiker und Unternehmer gerne hinweisen würde: Die Zukunft wird Ihnen letztendlich auf die Schliche kommen. Die Zukunft, die mit unvorstellbaren Werkzeugen der Transparenz operiert, wird mit Ihnen umgehen können. Am Ende wird man gesehen haben, was Sie getan haben."

Online-Gegenattacke Operation Payback

Gibson schrieb diesen hellsichtigen Text wohlgemerkt im Jahr 2003, also drei Jahre bevor Wikileaks erstmals online ging. So kann auch das, was sich diese Woche rund um die Verhaftung von Julian Assange, die Einfrierung der Konten der Plattform sowie die Online-Gegenattacke Operation Payback tat, diesen Autor nicht überrascht haben: In seinem berühmten Roman Neuromancer (1984), der das Wort Cyberspace überhaupt erst in Umlauf brachte, geht es um nichts anderes als Hacker, die Computer über ein Netz infiltrieren, und um künstliche Intelligenzen, die gefährliche Eigendynamiken entwickeln.

V for Vendetta

Dass sich ein fiktives Szenario bewahrheitet, ist noch kein Wert an sich. Interessant daran ist die Frage, wie man mit der totalen Transparenz von Informationen zu leben lernt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Die Gruppe Anonymous, die hinter den Attacken gegen Mastercard, Paypal und andere steht, zeigt jedenfalls auf, dass es eine - wenngleich vage - anarchistische Ethik hinter diesen Aktionen gibt. Ein Schwarm aus Usern, die mit ihren Symbolen auf den durch die Graphic Novel V for Vendetta (1982/85) populär gewordenen britischen Verschwörer Guy Fawkes verweist, legt für die Idee eines offenen Internets Server lahm.

Holzschuh im Mähdrescher

Früher nannte man das Sabotage, den berühmten Holzschuh im Mähdrescher, mit dem gegen die Industrialisierung protestiert wurde. In seinem mit Creative- Commons-Lizenz veröffentlichten Roman Little Brother (2008) beschreibt Cory Doctorow, wie eine zeitgenössische Form solchen Widerstands aussehen könnte: Auch hier ist es ein loser Verbund junger Menschen, der gegen ein von der Heimatschutzbehörde kontrolliertes San Francisco mobil macht, indem er die Technologien subversiv zu nützen versteht und laufend Fehlalarme auslöst.

Eine staatliche Kontrolle von Informationen erscheint in diesem Szenario veraltet.

Diese Praxis ist den realen Hackern näher als Gibsons Cyberpunks, die sich noch körperlich ins Netz schleusen mussten. Die Generation Web 2.0 operiert von zu Hause aus mit gewöhnlichen Rechnern. Eine staatliche Kontrolle von Informationen erscheint in diesem Szenario veraltet. Allerdings bleibt in diesem kategorischen Kampf um die Offenheit des Netzes eine Frage merkwürdig unbeantwortet - jene, ob wir der Übermenge an Daten denn überhaupt gewachsen sind. "Wir mögen schneller sehen, was abläuft", schreibt Gibson, "aber das bedeutet nicht, dass wir eher darüber einer Meinung sind." (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD Printausgabe, 11. Dezmber 2010)

 

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