Als das Kind geboren war, riefen die ÄrztInnen die Polizei an. Die Mutter war gerade einmal 13 Jahre alt. Türkischen Medienberichten zufolge war das Mädchen, das am vergangenen Sonntag in Sanliurfa im Südosten des Landes entbunden hat, zwangsverheiratet worden. Am Abend desselben Tages kam die zweite kindliche Mutter mit Wehen in das Spital. Sie ist 14.

Der Vorfall zeigt, dass die Zwangsverheiratung von Minderjährigen in der Türkei trotz Gesetzesänderungen und Strafverfolgung zumindest im großteils unterentwickelten Südosten des Landes weiterhin verbreitet ist. Im Fall der beiden Mädchen von Sianlurfa, einer Stadt und gleichnamigen Provinz an der Grenze zu Syrien, nahm die Polizei die Ehemänner fest und gab die jungen Mütter an ihre Familien zurück. Ob sie dort gut aufgenommen werden, ist allerdings fraglich.

Die 13-Jährige gab an, sie sei von ihrer Familie an ihren 22 Jahre alten Cousin Ahmet B. verheiratet worden; die ein Jahr ältere Mutter hat ebenfalls einen Ehemann aus der Verwandtschaft - Ahmet A. ist 25. Gegen die Ehemänner und Verwandten wird nun wegen Kindesmissbrauch ermittelt.

Strafrechtsänderung 2001

In der Türkei ist das heiratsfähige Alter durch eine Änderung des Strafrechts im Jahr 2001 auf 17 Jahre heraufgesetzt worden. Ein/e RichterIn kann im Einzelfall eine Heirat von 16-Jährigen genehmigen; Zwangsheiraten sind seither auch annullierbar. Um die rechtlichen Hürden zu umgehen, bitten die Familien deshalb einen Imam, die Trauung vorzunehmen. Welches Ausmaß die Zwangsverheiratung junger Mädchen hat, zeigte eine im vergangenen September veröffentlichte Statistik eines Spitals in Diyarbakir. Demzufolge waren allein in dem staatlichen Krankenhaus Ergani in den ersten neun Monaten dieses Jahres 69 Mädchen und junge Frauen zwischen 13 und 17 entbunden worden.

Geburten durch minderjährige Mütter in anderen Spitälern der Region und zu Hause auf dem Land, wo sie zeitweise unregistriert bleiben, dürften die tatsächliche Zahl um ein Vielfaches höher machen. Wichtigste Erklärung für die Zwangsheiraten sind die Stammesstrukturen im Südosten: Einflussreiche Familien legen die Heiraten von Verwandten im Vorhinein fest, um ihre Macht zu sichern und keinen Einfluss von außen zuzulassen. (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.12.2010)