Das Gehirn einer Fliege (Drosophila), rot gefärbt. Real wäre das Gehirn so groß wie ein Mohnkörnchen. In Grün sind Nervenzellen markiert, die das Sehzentrum mit dem inneren Gehirn verbinden.

Foto: IMP

"Das Netzwerk der Verführung". Was wie ein Romantitel von John Steinbeck klingt, war im September dieses Jahres Titelthema des naturwissenschaftlichen Fachjournals Cell. Darin berichtete Barry Dickson, der wissenschaftliche Direktor des Wiener Instituts für Molekulare Pathologie (IMP), von einem 1500 Neuronen umfassenden Netzwerk im Gehirn von Taufliegen - ein Netzwerk, dem das Balzverhalten der Insekten förmlich eingeschrieben ist: Taufliegen haben ein relativ starres, erblich fixiertes Fortpflanzungsrepertoire, mithin eine ideale Voraussetzung, um dieses Verhalten durch gezielte Mutationen aufzuklären. Dickson gelang dieses Kunststück mithilfe der IMP-Fliegenbibliothek, die mehr als 20.000 genetische Varianten der Fliegenart Drosophila melanogaster umfasst.

Der Fliegenbibliothek wird sich auch Andrew Straw im Rahmen seiner Versuche bedienen. Der gebürtige US-Amerikaner baut soeben am IMP eine neue Forschungsgruppe auf, seine Interessen gelten dem Flugverhalten von Drosophila melanogaster. Straw war zuvor am California Institute of Technology tätig und hat von dort ein technologisches Gustostückerl moderner Naturwissenschaft nach Wien gebracht: eine Art Holodeck für Fliegen.

Das Holodeck ist eine Erfindung aus der Sciencefiction-Serie Star Trek, ein Raum, der virtuelle Realitäten simuliert, um die Besatzung von Raumschiff Enterprise in Kontakt mit fremden Welten zu bringen. Zumindest in visueller Hinsicht ist das auch mit Andrew Straws Holodeck möglich: Kernstück dieser Vorrichtung ist ein Computerprogramm, das mithilfe von Kameras und Projektoren virtuelle Bilder an der Innenwand einer Versuchsbox erzeugt.

Grenzen des Raums

Darin befindliche Fliegen glauben, sich im Innenraum eines schwarz-weiß-karierten Zylinders zu befinden. Ihr Flugradius orientiert sich, das zeigen die bisherigen Versuche, tatsächlich an den virtuellen Begrenzungen des Versuchsraumes. Durch gezielte Manipulation dieser Bilder hat Straw am Caltech den Zusammenhang von Flugverhalten und Wahrnehmung untersucht, mithilfe der Mutanten der IMP-Fliegenbibliothek will er nun auch dem entsprechenden Neuronen-Netzwerk im Hirn der Fliegen auf die Spur kommen.

Ab Mai 2011 werden am IMP acht eigenständige Forschungsgruppen neuronale Schaltkreise im Hirn von Fliegen, Mäusen und Vögeln analysieren.

Die Themen dieses Forschungsschwerpunktes reichen von der Wahrnehmung des Magnetfeldes bis hin zu den molekularen Grundlagen von Emotionen. (cz/DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2010)