Wenn der französische Starkarikaturist Plantu dieser Tage "seinen" Premier Jean-Pierre Raffarin aufs Korn nimmt, dann zeichnet er Raffarin stets von einer quirligen kleinen Figur umflattert, wie etwa Peter Pan von der guten Fee Tinkerbell. Die quirlige Figur trägt die Züge von Raffarins konservativem Vorvorgänger Alain Juppé und soll das "Gespenst des Jahres 1995" symbolisieren. Was damit gemeint ist, ist jedem Franzosen klar: 1995 platzte nach einem wochenlangen Generalstreik die Regierung des von großen Reformplänen beseelten Premiers Juppé - und, so die sinistre Andeutung von Plantu, wenn Raffarin sich nicht vorsieht, besteht ernste Gefahr, dass er das Schicksal Juppés teilen wird.

Ganz überzeugend fällt dieser Vergleich nicht aus. Zwar führt auch Raffarin große Reformpläne im Schilde, doch unterscheidet er sich stilistisch in seiner bedachtsamen Art erheblich von dem hochfahrend-eigenwilligen Juppé, der von seinem Naturell her eher dem österreichischen Kanzler Schüssel ähnelt. Eine Hauptaufgabe, der sich Raffarin stellen muss, ist aber dieselbe wie für Juppé (oder Schüssel): Eine ungünstige Verschiebung im Verhältnis von Jungen zu Alten macht es künftig nötig, manche finanziellen Standards scharf nach unten zu korrigieren.

Das ist eine Aufgabe, die gerade in sozialstaatlich verwöhnten Gesellschaften wie Frankreich - oder Österreich - ein erhebliches Ausmaß an Takt erfordert. Raffarin hat auch sein Möglichstes getan, seine Feinfühligkeit zu demonstrieren - mit bescheidenem Erfolg. Schon am 1. Mai gingen mehr als hunderttausend Franzosen gegen die Pensionspläne der Regierung auf die Straße, und was den weiteren Mai betrifft, so haben die sonst so häufig zerstrittenen Gewerkschaften den Schulterschluss geübt und Raffarin ein heißes Frühjahr angekündigt.

Bemerkenswert, wenn auch nicht wirklich überraschend ist, dass die Sozialistische Partei Frankreichs - wie die SPÖ - den Gewerkschaften den Vortritt im Kampf gegen die Regierungspläne überlässt. Da wie dort wissen die Sozialdemokraten, dass sie an der Pensionsmisere Mitverantwortung tragen - dem früheren Premier Lionel Jospin tragen es die Franzosen immer noch nach, dass er die Behandlung des Problems systematisch verschlampt hat. Gegen die Wucht der Umstände im Zeitalter der Globalisierung scheint offenbar kein Kraut gewachsen: Von offensiven sozialdemokratischen Ideen, die sich vom banalen Spareifer der Konservativen überzeugend abheben würden, kann jedenfalls weder da noch dort die Rede sein.(DER STANDARD, Printausgabe, 7.5.2003)