Hereinspaziert - ein kurzer Schritt ins Nebenleben. Im Haus Dasein wollen weder Anzug noch Rolle sich ordnen lassen (Kostüme: Tina Klömpken).

Foto: Schauspielhaus

Auf dieser Welt ist der Mensch, heißt es in allen Kulturen, nur ein Besucher. Ein Gast, der sich über den Zweck seines Besuchs die Haare rauft und im Prinzip weder Auf-noch Abtritt wesentlich beeinflussen kann. Was tut er also, der Mensch, als Fremder auf einer Visite, die er "Leben" nennt? Er besucht Koranschulen oder Kasperltheater, Arbeitskollegen und Zahnärzte, Ausstellungen oder Internetseiten. Das irdische Dasein ist ein Patchwork aus vielen kleinen Besuchen.

Weil wir Besucher uns die Welt mühsam als Unterkunft zurechtzimmern, stellen wir sie uns gern als ein Haus vor.

Eine der weitsichtigsten Choreografinnen Europas, Meg Stuart, und ihre Marthaler-geprüfte Bühnenbildnerin, Anna Viebrock, nehmen diese Metapher wörtlich und stellen ein Haus ins Theater: Acht Räume auf zwei Etagen, in die Wände sind große Öffnungen gesägt, so dass durch alle Vorderräume auch in die Hinterzimmer geschaut werden kann.

In ihrer neuesten Arbeit, Visitors Only, die gerade in der Schiffbau-Halle des Zürcher Schauspielhauses Premiere hatte, stellt die amerikanische Wahlbelgierin Stuart ihre sorgfältigen Studien uns Besuchern vor.

Vier Frauen und vier Männer bevölkern eine mit Kettensägen zurechtramponierte Achtzimmer-Welt, aus der sie zuweilen in ihr Theater-"Jenseits" starren, in das Dunkel der Besuchertribüne. Und von dort blicken rund 300 Besucher zurück. Unter deren Augen verkrampft sich der Körper der Tänzerin Vania Rovisco zu einer gespreizten Pose. Sie wankt hin- und hergerissen in ihrem Zimmerchen, "Right door or left door?", bleckt ihre Zähne, blickt ins Auditorium und schäumt wie im Wahn: "I shall perform for you this evening. Nice!"

Dieses Haus besitzt keinen Ausgang, und so geht die Sartre-hafte Show bei geschlossenen Türen weiter. Die Darsteller mimen Fremde, die wie gedächtnislose Zombies von einer Szene in die nächste, von einer Figur in die andere geraten. Sie wippen und wackeln, tapsen, torkeln, treten einander - und schnell wird sichtbar, dass weniger die Welt Ursache ist für die Fremdheit ihrer Besucher, als sie selbst.

Über die Wände des Gebäudes geistern seltsame Bilder: hüpfende Tassen, klingelnde Telefone, ein Jünglingsgesicht, das mit digital animiertem Mund plappert: "Nice atmosphere here ... such a good view ... where is everybody?" Er trinkt aus einer Tasse. Die Projektionsgespenster des Videokünstlers Chris Kondek zeigen eine Parallelwelt, die mit den Akteuren kommuniziert oder sie bedroht. Das Jünglingsgesicht sagt zu einer Tänzerin: "I've been watching you all the evening."

Parallelwelten

Visitors Only fasst Motive zusammen, die Stuart bereits seit einiger Zeit benutzt: die Idee des Hauses, des Gespensts und der projizierten Parallelwelt. Ansonsten setzt sich das Stück deutlich von früheren Arbeiten ab: Hier gibt es keinen "Tanz" im engeren Sinn, sondern eine Choreografie von Verhaltensmustern, Auftritten und Abgängen, die ohne dramatischen Bogen ineinander übergehen.

Jene Tanzsprache, die sie berühmt gemacht hatte und mit der sie den Körper an den Rand des Zerreißens brachte, ist zu einer dunkel glühenden Wolke von Handlungskürzeln explodiert, und ihr ehemals expressives Körperbild zeigt sich aufgelöst in dadaistischem Sarkasmus.

Ihre namenlosen Gestalten scheinen nur Besucher in verschiedenen Figuren zu sein, Charakterrudimente, die zahlreiche Rollen betasten, aber nie annehmen. Sie zitieren Bruchstücke aus einem existenzialistischen Welttheater und ziehen sich am Ende sehr warm an, um schweigend Kaffee zu trinken. Stuarts Visitors werden Mitte Juli während des Sommerszene-Festivals auch Salzburg besuchen und ab Herbst vielleicht Wien.