Wien - U-Bahn-Fahrgast Hannes steckt im Fahrgaststau und schimpft. Inmitten eines ruckelnden Waggons der U3, der um viertelzwölf, kurz nach Streikende, knallvoll ist. Wie zur Stoßzeit morgens um halb acht. "Die Leute sind nicht dumm. Sie müssen nur einsehen, dass der Streik weitergehen muss", verkündet Hannes lautstark in die Enge hinein. Er selbst sei ein Beispiel für das "Verschaukeltwerden durch Politiker, die den Sozialabbau vorantreiben: 54 Jahre alt, drei Fremdsprachen, langzeitarbeitslos". Hannes blickt auffordernd um sich. Die anderen schauen weg.

"Auswirkungen treffen die Falschen"

Fünf Minuten später - Hannes ist schon in der Menge verschwunden - sieht Monika (35) die Sache differenzierter. "Das Streikziel kann ich teilen, aber die Auswirkungen treffen die Falschen: die Unternehmer", meint die Angestellte. Ihren Chef etwa, "der am Streiktag die Gleitzeit bis mittags ausgeweitet hat". Oder den Angestellten riet, einen Tag frei zu nehmen: ein Angebot, das es in etlichen Firmen österreichweit gab.

Davor, als die Räder still standen, bestimmte in Wien einzig die Schnellbahn das Öffi-Geschehen. Zum Beispiel für Johann F., der morgens kurz nach acht zu seinem täglichen Termin ins AKH musste. Mit der S-Bahn zum Handelskai, dort umsteigen in Richtung Heiligenstadt, von dort bis zum Franz-Josefs- Bahnhof, den Rest zu Fuß: viel umständlicher als sonst, doch F. hat Verständnis für den Streik: "Das ist doch für alle."

Auf's Radl

Andere schwangen sich aufs Rad. Auch Pendler von außerhalb, die ihre Fitness auf der Donauinsel erneuerten. Die Insel mussten sie nur mit ein paar Morgensportlern teilen, doch nach dem Einbiegen ins Wiener Radwegnetz wurde es dicht: Radstau. Überraschend dennoch - und verkehrspolitisch interessant: Der Weg ins Innenstadtbüro aus einer nördlichen Umlandgemeinde dauerte per Rad nur eine Viertelstunde länger als üblicherweise mit dem Auto.

Auch der angesagte Autostau war in Wien wie in den anderen Landeshauptstädten großteils ausgeblieben: Flottes Weiterkommen morgens um acht über die Nordbrücke. Auch weiter ging es in aller motorisierten Normalität: Nur 20 Minuten von Transdanubien bis in die Innenstadt.

Stopp bei Kundgebungen

Kein Weiterfahren gab es lediglich dort, wo Protestkundgebungen stattfanden. Wie beim U4-Komplex an der Wiener Westeinfahrt, wo zwei

Gewerkschafter mit einem Transparent "Stoppt den Privatisierungswahnsinn" auf der Fahrbahn standen - allerdings nur, solange die Ampeln Rot zeigten. Schalteten sie auf Grün, huschten die Demonstranten auf den Gehsteig. "Die Leute reagieren recht positiv, sie zeigen uns den erhobenen Daumen", erzählt Herr Franz, pensionierter Drucker.

Gewerkschafter Petrus

In den inneren Bezirken herrschte indes Gelassenheit. Die Sonne schien - und so wirklich eilig hatte es kaum einer. Heute würde, ja müsste doch jeder Chef Verständnis für kleinere Verspätungen habe. Warum also nicht auf einen Latte Macchiato ausspannen? "Gelebte Solidarität", sagt einer und nippt am Kaffee, "kann ein Stück Lebensqualität sein - wenn das Wetter mitspielt: Petrus ist wohl ein ÖGB-Mitglied."

Höchst pünktlich kamen hingegen die Bürger, die im Amtshaus Wien-Rudolfsheim ihre Angelegenheiten erledigt haben wollten. "Um acht in der Früh waren sie schon da", berichtete eine Mitarbeiterin. Und auch im deutlich entschleunigten Graz zeigten sich manche uninformiert. Etwa ein etwas älteres Pärchen, das gegen sieben Uhr früh an der Haltestelle saß und vergebens auf die Bim wartete. (red/DER STANDARD, Printausgabe, 7.5.2003)