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Jeder zehnte Österreicher gilt als kaufsüchtig.
Weihnachten ist ein Fest der Schulden. Der Handel lockt mit Einkaufen auf Pump und Raten. Vor allem Junge tappen in die Falle. Die Zahl der Kaufsüchtigen nimmt zu. Jeder zehnte verliert die Kontrolle über den Konsum.
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Wien - Was im Einkaufskorb liegt, ist Nebensache. Vieles bleibt verpackt und ungeöffnet. Der einzige Kick ist der Akt des Kaufens, sagt Roland Mader. Der Suchtexperte und Arzt am Anton-Proksch-Institut in Wien beobachtet seit Jahren eine stete Zunahme an krankhafter Kauflust in Österreich. Er sieht klar direkte Zusammenhänge zwischen wachsendem Produktangebot, mehr Werbung und Suchtverhalten. Beleg dafür seien Untersuchungen in Ostdeutschland nach der Wende. Innerhalb von nur einem Jahrzehnt habe sich dort die Zahl an Kaufsüchtigen an jene des Westens weitgehend angeglichen.
Jeder Fünfte ist gefährdet
In Österreich ist mittlerweile jeder Fünfte entsprechend gefährdet - fast jeder Zehnte weist pathologisches Kaufverhalten auf, zeigen Studien der Arbeiterkammer. Vier von zehn Betroffenen sind Männer. Sie deckten sich mit Prestigeware ein, Frauen seien anfällig für Textilien und Kosmetik. Der Kontrollverlust gehe meist einher mit geringem Selbstwertgefühl. Hochsaison hat er zu Weihnachten.
Aber auch abseits des krankhaften Verhaltens steigt der Konsumdruck. Von großzügigen Geschenken hielten selbst große finanzielle Probleme nicht ab, sagt der Konsumökonom und Experte der Arbeiterkammer, Karl Kollmann. Oft werde dieselbe Spendierfreudigkeit freilich auch vom Beschenkten erwartet: Präsente müssten so mit Zinseszinsen in anderer Form zurückbekommen werden. Orientierungsrahmen, die früher regelten, dass Lehrlinge nicht protzige Autos fuhren und Lehrer zu keinen Cartier-Füllfedern griffen, seien abhandengekommen. Ihr Budget für Geschenke planen würden wenige, und die Konten dafür zu überziehen sei ein Leichtes.
Raten und Rabatte locken
Das Weihnachtsgeschäft im Dezember bringt Österreichs Handel rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz. Sechs Milliarden macht der Erlös in dem Monat insgesamt aus. Die Stimmung ist gut, die Nervosität der Branche dennoch groß, früher denn je locken Rabatte, für zusätzlichen Umsatz verzichten Betriebe auf Gewinne. Angebote für Ratenzahlung und Einkauf auf Pump boomen. Die wahren Kosten, etwa Zinsen bis zu 20 Prozent, würden oft verschleiert, sagt Gabriele Zgubic, Leiterin der Konsumentenpolitik in der Arbeiterkammer.
Der Handel mache es den Konsumenten leicht, über ihren Verhältnissen zu leben, sagt Schuldnerberater Alexander Maly. Es sei purer Wahnsinn, Konsum auf Kredit zu finanzieren - dennoch werde Weihnachtsgeld vielfach dreifach ausgegeben, ein Fünftel der Österreicher ließe sich dafür gern verführen. Hart ins Gericht geht er mit Angeboten für iPhones, die aktuell etwa um einen Euro zu haben sind, bei hohen fixen monatlichen Gebühren. "Sie gehören eigentlich als Kreditverträge deklariert, es wird dadurch viele Junge finanziell auf die Nase hauen."
"Handel ist kein Erzieher"
"Die Werbung dafür ist unseriös und täuscht Junge", meint auch Wolfgang Krejcic, der Obmann der Elektrohändler. Im Übrigen sei das starke Werben für Konsumkredite ein Zeichen für schwächelnde Geschäfte. Er verwehre sich strikt gegen Marktschreier, die zinsenlose Kredite anpriesen, die hohe Bearbeitungsgebühren inkludierten.
Roman Seeliger, Handelsexperte der Wirtschaftskammer, unterstreicht die Mündigkeit der Konsumenten, die in der Regel Grundrechnungsarten beherrschten.
Die Händler seien für Schulden der Kunden nicht verantwortlich, betont auch Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands. Der Handel sei kein Erzieher. Es sei vielmehr Aufgabe der Gesellschaft, darüber nachzudenken, warum sich Menschen zunehmend nur noch über Konsum definierten. (Verena Kainrath, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18./19.12.2010)