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Religionsunterricht für Aleviten, die in Österreich nun offizielle Anerkennung erhalten haben.
Für die in Österreich rund 60.000 Aleviten - oft als liberale Muslime bezeichnet, die die Trennung von Kirche und Staat sowie die Gleichstellung der Frau anerkennen - besteht dieser Tage Grund zum Feiern. Vor einer Woche gab der Verfassungsgerichtshof ihrem Einspruch gegen eine Entscheidung des Kulturministeriums Recht: Er stellte fest, dass es in Österreich mehr als -wie derzeit - nur eine islamische Vertretung geben kann.
Nun ließ besagtes Ministerium vergangenen Freitag die "Bekenntnisgemeinschaft der Aleviten" offiziell eintragen. Von jetzt in zehn Jahren können die Aleviten einen Antrag stellen, um neben der Islamischen Glaubensgemeinschaft als zweite, islamische "Religion" gesetzlich anerkannt zu werden - samt, zum Beispiel, dem Recht, Religionsunterricht an staatlichen Schulen durchzuführen.
Das ist positiv, denn ab jetzt sind "die Muslime" für den Staat nicht mehr alle eins. Damit sind sie vielleicht auch sonst in der Gesellschaft nicht mehr so einfach als "fremdländische" Einheit abzutun, über deren Eigenschaften ("Musliminnen tragen Kopftuch und sind den Männern unterworfen") und Betgewohnheiten ("Was in den Moscheen gepredigt wird, ist dubios und gefährlich") pauschalisierend diskutiert wird. Denn Alevitinnen treten der Welt ohne religiös (mit)begründete Kopfbedeckung gegenüber. Und alevitische Prediger halten die Werte des Humanismus und der Gleichheit aller Menschen hoch.
Dennoch sind auch die Aleviten in Europa von IslamkritikerInnen schon scheel beäugt worden: Konkret vor knapp drei Jahren, im Jänner 2008, von Necla Kelek, der deutschen Sozialwissenschaftlerin mit türkischem Hintergrund, die die Integration der Muslime in Deutschland unter anderem wegen der Unterdrückung der Frauen als gescheitert betrachtet.
Anlass waren Proteste von rund 20.000 Aleviten in Köln, nachdem der NDR einen "Tatort"-Krimi über einen Inzestfall in einer alevitischen Familie gezeigt hatte. Die Heftigkeit der Reaktion - immerhin wurde aus Anlass eines simplen Fernsehfilms eine große Demo organisiert - sei ein Angriff zu Verteidigungszwecken, schrieb Kelek: Die Aleviten wollten eine breitere Diskussion über die - abseits ihres Mann-Frau-Gleichheitspostulats - reale Gewalt in alevitischen Familien verhindern. Denn gerade bei ihnen würden oft Cousins und Cousinen heiraten. Auch Kinderehen, die im Erwachsenenalter dann legalisiert würden, seien verbreitet.
Und dann deutete Kelek noch ein anderes Thema an - aber sie streifte es nur, mehr nicht. Nämlich den Umstand, dass der "Vorwurf des Inzests und der Inzucht" für Aleviten eine besondere, "diffamierende Seite" habe. Nun, das ist - sagen wir einmal - untertrieben. In der Türkei wird der islamischen Minderheitsreligion seit Jahrhunderten Inzest vorgeworfen: Von fundamentalistischen Sunniten, aufgrund des Umstands, dass alevitische Männer und Frauen gemeinsam beten.
Es war wohl dieses Vorurteil, das die deutschen Aleviten in dem "Tatort"-Krimi wiederzuerkennen glaubten: Ein Vorurteil, das - wie alle religiösen Diffamierungen - emotional höchst aufgeladen und daher gefährlich ist. Dass Aleviten dagegen auf den Kölner Domplatz gingen, war erwartbar. Dass die scheinbar aufklärerisch daherkommende Islamkritik der Necla Kelek diese Zusammenhänge im "Alevitenfall" fast völlig unter den Tisch fallen ließ, ist für ihren einiges über einen Kamm scherenden Denkansatz bezeichnend.