
Ein König auf seinem ihm unbequem gewordenen Thron, vor Fadesse leicht geknickt: Probenarbeit zu Büchners "Leonce und Lena" in der Justizanstalt Wiener Neustadt.
Premiere ist am Dienstag im Kabelwerk.
Wien – Ein fest installiertes und kontinuierlich produzierendes Gefängnistheater (oder Gefangenentheater), wie es etwa das Theter aufBruch in Berlin-Tegel (Europas größter Haftanstalt für Männer) seit 13 Jahren betreibt, gibt es in Österreich (noch) nicht. Doch haben Regisseure wie Tina Leisch oder Manfred Michalke, die ihre Theaterarbeit vorwiegend als koedukative Kunst begreifen, jüngst mehrfach in Haftanstalten gearbeitet. Und das sehr erfolgreich. Tina Leisch hat über ihre Medea-Unternehmung im Frauengefängnis von Schwarzau auch einen vielbeachteten Dokumentarfilm gedreht, Gangster Girls.
Man muss von Glück reden, dass die damalige Justizministerin Maria Berger bei dieser Medea-Premiere anwesend und von der gewinnbringenden Arbeit in jeder Hinsicht überzeugt war. Sie und ihr Kabinett gaben auch den Anstoß für Manfred Michalkes Gefängnistheaterarbeit.
Der Gründer des "Wiener Vorstadttheaters – integratives Theater Österreich" (seit 1994) hat in der Folge mit jugendlichen Straftätern der Justizanstalt Gerasdorf gearbeitet (Bonds Gerettet) und lässt nun Häftlinge aus Wiener Neustadt in Georg Büchners Kleinstaaten-Karikatur Leonce und Lena zu Wort kommen. Premiere ist morgen, Dienstag, im Kabelwerk, 19.30.
Ein Jahr lang hat Manfred Michalke mit acht Insassen/innen im Mehrzwecksaal der Justizanstalt Wiener Neustadt geprobt. Und pünktlich zur nunmehrigen Premiere wurde das Wiener Vorstadttheater zum österreichischen Partner im EU-Sozialprojekt PEETA (Personal Effectiveness and Employability through the Arts) ernannt. Diese EU-Partnerschaft fördert eine bessere Zusammenarbeit im "heiklen Feld Gefängnis-theater, auf dem national recht unterschiedliche Standpunkte herrschen. Es gibt ja Länder, die sind in diesen Belangen sehr konservativ, also fürs Wegsperren. Es gibt unterschiedliche Ansätze, einerseits mehr therapeutisch, andererseits mehr künstlerisch." Übrigens: Auch im Nicht-EU-Land Türkei hat das Gefängnistheater seine Tradition.
In Österreich seien die Bedingungen vor allem durch den Opferschutz erschwert, so Michalke. Viele gesetzliche Bestimmungen laufen dem Theaterbetrieb einfach zuwider. Doch gibt es generell sehr positive Signale vonseiten der Justiz. Denn dass Theaterarbeit in jedem Fall einer Resozialisierung förderlich sein kann, ist allgemein anerkannt.
Vor allem die Teamerfahrung ist für Häftlinge essenziell, auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem großen Stoff. "Als Regisseur habe ich innerhalb des letzten Jahres beobachtet, dass die Häftlingsschauspieler durch die Probenarbeit gesprächsbereiter und aufgeschlossener wurden. Diese Tätigkeit ist als Gefängnisarbeit zu bewerten wie jede andere auch, und keine Freizeitbeschäftigung, schon gar keine Vergünstigung."
Kein Mitleidseffekt
Für Michalke steht der künstlerische Prozess allerdings klar vor dem sozialen. "Wir präsentieren eine Theatervorstellung und nehmen alle gewünschten Nebenwirkungen gerne in Kauf." Daraus lässt sich auch die Stückauswahl des Wiener Vorstadttheaters erklären: Es packt jeweils Klassiker der Weltliteratur an und keine rührigen, dem eigenen Häftlingsschicksal affinen Sozialdramen, um jedweden Mitleidseffekt von Beginn an zu unterbinden. "Denn Mitleid ist das Gegenteil von Kunst", so Michalke. "Es geht darum, die Arbeit der Gefängnisinsassen einer Öffentlichkeit zu zeigen, zu zeigen, dass man etwas Gutes leisten kann." Und was die Neo-Schauspieler bei einem Probenbesuch präsentiert haben, deutet in jedem Fall auf etwas Gutes hin.
Die Produktion wäre ohne die "Unbare" aus den Mitteln der Bundestheater nicht zu finanzieren. Die Theaterservice GmbH Art for Art, Requisite und Technik des Burgtheaters und die Vereinigten Bühnen Wiens stellen ihr Equipment zur Verfügung; für die betreffende Probenzeit wären das im Anmietsfall rund 60.000 Euro, eine Summe, die vom Wiener Vorstadttheater nicht zu leisten wäre.
An beachtlichen sieben Spieltagen wird das melancholische Königskinderpaar Leonce und Lena nun den mühevollen Weg zur Staatsgründung beschreiten. Und wenn deren Spaßmacher Valerio sagt: "Ich kann vor Nüchternheit kaum stehen", dann klingt das in diesem Kontext sehr authentisch. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD – Printausgabe, 20. Dezember 2010)