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"Wir essen nicht, was uns schmeckt. Es verhält sich genau umgekehrt: Uns schmeckt, was wir oft essen. Gewohnheit prägt die Geschmacksvorlieben." (Rosemarie Zehetgruber)

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"Der der via Esssitten ausgetragene Kampf der Symbole sagt uns wahrscheinlich tatsächlich mehr über den Zustand unserer Gesellschaft, als man im ersten Moment zu glauben geneigt ist." (Elisabeth Meyer-Renschhausen)

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Männer verschlingen Fleischberge und Alkohol, Frauen knabbern Rohkost und Naschereien - soweit die Klischees. Beim kulinarischen Blick in die Vergangenheit finden sich Entsprechungen, bogen sich doch einst die Tische der ausschließlich männlich besetzten ritterlichen Tafelrunden von üppigem Braten und Wein. Fleisch gilt von jeher als Symbol für Stärke, Macht und Kraft. Königinnen und Hofdamen ließen sich lieber mit allerlei Süßigkeiten und Schleckereien verführen.

Die Macht der Klischees

Zeigt uns die Geschichte, dass Vorlieben beim Essen durch das Geschlecht festgelegt werden? Liegen die Wurzeln von Esstypologien in den X- und Y-Chromosomen? Diese und andere Fragen diskutierte eine interdisziplinäre ExpertInnenrunde bei einer Tagung des Verbandes der ErnährungswissenschafterInnen Österreichs (VEÖ) Mitte November in Wien.

Den Geschlechterrollenerwartungen entsprechend, gilt nach der westlich geprägten kulinarischen Taxonomie, dass Obst und Gemüse "schwache Nahrung" sind und darum dem weiblichen Prinzip zur Seite gestellt werden, Fleisch und Alkohol als "starke Nahrung" entsprechen dagegen dem männlichen Prinzip. "Der der via Esssitten ausgetragene Kampf der Symbole sagt uns wahrscheinlich tatsächlich mehr über den Zustand unserer Gesellschaft, als man im ersten Moment zu glauben geneigt ist", erklärt Elisabeth Meyer-Renschhausen vom Institut für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Und weiter: "Die Frage nach den Klischees kann uns möglicherweise helfen, unsere heutigen Konsumformen bis hin zum Kampf zwischen "gutbürgerlichen" versus "vegetarischen" oder gar jugendlich-veganen Lebensformen etwas besser zu verstehen."

Frauen essen anders, Männer auch

"Doing Gender" lautet die Devise oft schon in Kindheitstagen - auch beim Essen. Das bedeutet: Geschlecht stellt weniger dar, was ein Mensch ist, sondern was ein Mensch tut. So werden kleine Mädchen dazu angehalten, nicht zu viel zu essen, während Buben ordentlich zugreifen dürfen, "damit sie groß und stark werden".

"Die Beschreibung körperlicher Anatomie ist nicht die Anatomie selbst, sondern schon deren kulturelle Interpretation, was erst recht gilt, wenn daraus Folgerungen für soziale Phänomene abgeleitet werden", betont Jana Rückert-John, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Gender und Ernährung an der Universität Hohenheim. "Essen macht Geschlecht, denn mittels Essen werden Geschlechterrollen zum Ausdruck gebracht." So widmen sich Mädchen und Frauen häufig Diäten und erkranken in Folge auch häufiger an Anorexia nervosa als Männer. Von Übergewicht sind Männer ebenso betroffen wie Frauen, leiden aber weniger unter dem Zuviel auf der Waage.

Frauen am Herd

"Frauen tätigen bis zu 90 Prozent aller Haushaltseinkäufe und verbringen im täglichen Durchschnitt nach wie vor etwas mehr als eine Stunde mit Verköstigungstätigkeiten - also dreimal soviel Zeit wie Männer mit 22 Minuten", weiß Erika Lasser-Ginstl von Xundessen Wien. Und das, obwohl sich junge Frauen heute eher für die Karriere als für Kind und Küche entscheiden und das Aufbrechen der Geschlechterrollen nicht erst in den 1968igern von statten ging.

Bereits während des Zweiten Weltkrieges arbeiteten österreichische und deutsche Frauen in Fabriken und am Bau. Gleichzeitig waren sie jedoch für das Funktionieren aller haushalterischen Tätigkeiten zuständig. In den 68igern wurde es "in", dass auch Männer sich mehr und mehr um Pflege, Erziehung und Versorgung ihrer Kinder annahmen und sich immer häufiger in der Küche einzubringen begannen - "meist jedoch nach dem Lustprinzip", betont Lasser-Ginstl.

Auswärts essen

Was Mädchen und Buben bevorzugt essen, bestimmt nicht nur das Elternhaus, darüber hinaus finden unbewusste Geschlechterzuweisungen beim Essen unterwegs statt. Die Angebote in Restaurants, Imbissbuden oder am Schulbuffet treffen eher den männlichen Geschmack. Wurstsemmel und Eistee sind hier die Renner, weil sie an jedem Buffet prominent platziert werden. Rosemarie Zehetgruber von gutessen consulting, Wien: "Wir essen nicht, was uns schmeckt. Es verhält sich genau umgekehrt: Uns schmeckt, was wir oft essen. Gewohnheit prägt die Geschmacksvorlieben."

In einer Befragung von Jugendlichen kristallisierte sich heraus, was als typisch weiblicher und männlicher Essstil gilt: Fleischgerichte, insbesondere Rindfleisch oder Kebab, sprechen verstärkt Burschen an und dominieren die Speisekarten. Mädchen bevorzugen Geflügel, Ethnofood, Gemüse und Vegetarisches, Tofu, Vollkorn, Lightprodukte und Joghurt. Gerichte, die am Menüplan vergleichsweise seltener zur Auswahl stehen. Süßigkeiten, Eier, Pizza, Mineralwasser, Nudeln und Mehlspeisen werden dagegen als unisex betrachtet und häufig angeboten.

"Doing Gender"...

Gekocht wird auch heute bevorzugt nach den Bedürfnissen der Männer. Laut aktueller Studien kommen Fleischgerichte in Familien mit Mann öfter auf den Tisch, während weibliche Singles Gemüse und Getreidegerichten bevorzugen. Hier spiegeln sich gesellschaftliche, soziale und kulturelle Zuweisungen im Zusammenhang mit dem Geschlecht wider, lautet der Tenor der VEÖ-ExpertInnen: "Es sind wohl weniger die biologischen oder genetischen Voraussetzungen, die die Vorlieben bei Essen und Trinken prägen". Bereits Simone de Beauvoir wusste, dass eine Frau nicht als Frau zur Welt kommt, sondern dazu gemacht wird und das gilt auch in kulinarischer Hinsicht.

... oder Gene?

Dagegen ermittelte das Forscherteam des Laboratorio di Elettrofisiologia Cognitiva der Universität Milano, dass Frauen anhand ihrer Erbanlagen bei sozial relevanten Vorgängen einfühlsamer seien als Männer. Es falle ihnen leichter, anderen Personen ihre Emotionen mitzuteilen und nichtverbale Gefühlsäußerungen anderer zu interpretieren. Durch die eindeutige empathische Präferenz der weiblichen Testpersonen auf biologisch relevante Ereignisse, könne auf folgendes geschlossen werden: Diese erhöhte Aufmerksamkeit sei auf die Rolle der Frau als Ernährerin und Erzieherin zurückzuführen und werde durch das Aufziehen von Kindern geschärft und optimiert.

Wie auch immer - je nachdem, innerhalb welcher Sozialstruktur eine Frau lebt, erlebt sie die ihr zugedachte Rolle. "Nachdem vor allem Frauen gelernt haben, in erster Linie die Bedürfnisse anderer Menschen zu befriedigen, braucht es viel Geduld und Verständnis ihnen neue Wege im Erkennen der eigenen Wichtigkeit zu zeigen", plädieren Eva Trettler vom FEM Süd und Romeo Bissuti vom Männergesundheitszentrum Wien.

Essen, das Frauen und Männer glücklich macht

"Männer und Frauen essen anders. X- und Y-Chromosomen spielen dabei aber die geringste Rolle", lautet das Fazit der Diskussionsrunde. Der VEÖ ruft Frauen und Männer, GastronomInnen und VerpflegungsanbieterInnen dazu auf, nicht nur um Geschlechterrollen zu brechen, sondern gerade um sie ausgewogen zu bedienen und sich über neue kulinarische Ideen zu trauen. (derStandard.at/03.01.2011)