
Viele Schüler haben Schwierigkeiten, Texte zu verstehen. Das Forschungsprojekt "Didaktisches Coaching für den Unterricht in mehrsprachigen Klassen" soll Lehrern künftig helfen, sprachliche Probleme zu erkennen, und Lösungsstrategien bereitstellen.
Die desaströsen Ergebnisse der Pisa-Studie haben es wieder einmal mehr belegt: Eine der Hauptursachen für schulisches Scheitern sind sprachliche Defizite - vor allem bei Schülern und Schülerinnen mit Deutsch als Zweitsprache. Und das sind in Österreich durchschnittlich immerhin mehr als 16 Prozent. In Wien etwa beträgt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund mehr als 40 Prozent.
"Die sprachlichen Probleme dieser Kinder liegen meist im Bereich der sogenannten Textkompetenz", erklärt Sabine Schmölzer-Eibinger, Expertin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache am Grazer Germanistik-Institut. "Sie haben Schwierigkeiten, die 'Bildungssprache' zu verstehen und anhand von Texten zu kommunizieren und zu lernen." Und das, obwohl viele von den betroffenen Schülern über eine recht gute alltagsbezogene Sprachkompetenz verfügen.
Unverständliche Lehrinhalte
Die Folge davon ist, dass auch im Fachunterricht Aufgaben und Texte oder mündlich vorgetragene Lehrinhalte nicht verstanden werden. Ein massives Problem, das mit der aktuellen schulischen Praxis in Österreich offensichtlich nicht in den Griff zu bekommen ist. Verschärft wird diese Situation durch den Umstand, dass sich viele Fachlehrer und -lehrerinnen der Bedeutung der Sprache für ihren Unterricht nicht ausreichend bewusst sind, wie die Grazer Forscherin und ihr Team in einem aktuellen Projekt herausgefunden haben.
"Meist verfügen gerade Fachlehrkräfte in berufsbildenden Schulen und Gymnasien über ein eher geringes Sprachbewusstsein und erkennen deshalb auch die sprachlichen Schwierigkeiten der Schüler nicht", sagt Schmölzer-Eibinger. "Deshalb können sie die Kinder und Jugendlichen nicht bei der Überwindung jener sprachlichen Hürden unterstützen, die dem Erwerb von Fachwissen entgegenstehen".
Ein Missstand, der aber nicht den Lehrern angelastet werden könne, wie die Wissenschafterin betont: "Sie werden in ihrer Ausbildung überhaupt nicht auf diese Situation vorbereitet und haben dementsprechend auch keine Methoden, auf die sie zurückgreifen können". Generell werde die Bedeutung der Sprache als Medium des Wissenserwerbs in den Aus- und Weiterbildungscurricula der verschiedenen Fächer viel zu wenig berücksichtigt.
In dem am neuen Fachdidaktikzentrum der Geisteswissenschaftlichen Fakultät an der Karl-Franzens-Universität in Graz angesiedelten Forschungsprojekt sollen nun erstmals jene wissenschaftlichen Grundlagen erarbeitet werden, auf denen aufbauend die sprachlichen Defizite der Schüler gezielt verringert werden können. "Didaktisches Coaching für den Unterricht in mehrsprachigen Klassen" nennt sich das bis Ende 2012 laufende Projekt. Projektträger ist das Unterrichtsministerium.
Sprachsensibler Unterricht
Das Ergebnis wird ein theoretisch und didaktisch fundiertes Curriculum für eine neue Ausbildung zum "Didaktischen Coach" sein. "Diese Zusatzausbildung soll Lehrpersonen in die Lage versetzen, ihre Kollegen und Kolleginnen in puncto Sprachverhalten im Fachunterricht zu beraten, die sprachlichen Probleme von Schülern zu erkennen und didaktische Strategien zu deren Lösung bereitzustellen", erklärt Sabine Schmölzer-Eibinger. Das Ziel sei letztendlich ein "sprachsensibler" Fachunterricht, in dem Sprache als zentrales Instrument des Wissenserwerbs gezielt eingesetzt wird.
In der jetzigen Startphase beschäftigt sich das Forscherteam vor allem mit Unterrichtsbeobachtung. Dabei konzentriert man sich auf die Fächer Mathematik, Rechnungswesen, Biologie, Chemie und Geschichte insbesondere in berufsbildenden Schulen, da gerade dieser Schultyp in den internationalen Bildungsstudien der letzten Jahre am schlechtesten abgeschnitten hat. Außerdem sind an diesen Schulen überproportional viele Kinder mit Migrationshintergrund.
"Was uns bei den Videoanalysen der Unterrichtsstunden schon jetzt ins Auge sticht, ist der noch immer weitverbreitete Frontalunterricht mit seinen langen Lehrermonologen", berichtet Schmölzer-Eibinger. "Die Schüler kommen dabei kaum zum Sprechen, sodass man ihre Sprachkompetenz gar nicht feststellen kann. Ein erfolgreicher Unterricht bedingt aber nicht nur ein hohes Sprachbewusstsein der Lehrenden, sondern auch eine größere sprachliche Aktivität der Schüler."
Schulbücher ohne Kontrolle
Weil aber nicht nur die gesprochene Unterrichtssprache für die Wissensvermittlung entscheidend ist, nehmen die Grazer Wissenschafter in einem anderen Projekt auch die österreichischen Schulbücher sehr genau unter die Lupe. Und was sie dort entdecken, ist nicht selten erschütternd: "Dass die Kinder mit vielen Texten Probleme haben, darf uns nicht überraschen", sagt Schmölzer-Eibinger. "Das hat aber oft weniger mit ihrer mangelnden Sprachkompetenz zu tun als mit sprachlich extrem schlecht gemachten Texten."
Ist es möglich, dass derartig auflagenstarke, lukrative und einflussreiche Publikationen wie Schulbücher keinen Qualitätskontrollen unterliegen? Es scheint tatsächlich so zu sein. "Im Grunde kann jeder Schulbuchautor werden, der Markt ist ziemlich undurchsichtig", weiß die Grazer Forscherin. "Aber das ist den Autoren - meist engagierte Praktiker - nicht vorzuwerfen. Worum es geht, ist die Entwicklung von Qualitätsstandards, wie wir sie zurzeit in Form sogenannter Guidelines zur Sprachverwendung in Schulbüchern erarbeiten". Und schließlich um die Umsetzung eines Wissens, das gegenwärtig wohl zu wenige teilen. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2010)