Das Oberlandesgericht gab Ludwig Adamovichs Berufung statt.

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Brigitta Sirny muss sich kritische Bemerkungen gefallen lassen.

Foto: APA/Fohringer

Wien - Der große Andrang herrschte am Mittwochvormittag in einem anderen Saal des Justizpalastes. Ein paar Türen weiter drängten sich Kameramänner und Journalisten beim Bawag-Berufungsverfahren um den Exbanker Helmut Elsner. Stille herrschte derweil im Saal F, wo vor vier Zusehern die auf 20 Minuten anberaumte Berufungsverhandlung des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, gegen Brigitta Sirny, die Mutter von Natascha Kampusch, über die Bühne gehen sollte.

Adamovich fehlte

Adamovich selbst war nicht anwesend. Ob er nicht komme, will der Vorsitzende Dietmar Krenn von der Anwältin des 78-jährigen wissen. Diese verneint ernst: "Er ist dazu nicht in der Lage. Seine Frau ist vor eineinhalb Wochen gestorben. Gestern war das Begräbnis."

Ein Mitglied des Senats verliest danach einige Details, um die es in der Privatklage von Sirny gegen Adamovich ging. Adamovich hatte im Juli und August 2009 mehrere Interviews gegeben, in denen er auch über die Kindheit des Entführungsopfers befragt wurde. Konkret wollte man von Adamovich wissen, ob die Zeit, die Kampusch erlebte, bevor sie in die Gewalt Wolfang Priklopils geriet, dafür ausschlaggebend gewesen sein könnte, wie sich ihr Verhältnis zum Entführer über die Jahre entwickelte. Adamovich sprach in einem der Interviews, das vom Vorsitzenden am Mittwoch noch einmal verlesen wurde, wörtlich von einer "lieblosen Kindheit ohne viel Zärtlichkeit". Zudem gibt er an anderer Stelle zu bedenken, dass die Zeit ihrer Gefangenschaft womöglich "allemal besser" gewesen sei "als das, was sie davor erlebt hat".

Vor allem diese Worte des ehemaligen Leiters der Evaluierungskommission in der Causa Kampusch sorgten nicht nur bei der Mutter von Kampusch für Aufregung. Es sei "das Schlimmste, was man einer Mutter vorwerfen kann", meint Sirnys Anwalt, Wolfgang Miller vor Gericht. Doch Richter Krenn, der kurzfristig für die erkrankte bisherige Vorsitzende im Dreier-Senat, Marina Stöger, einsprang, wies schon nach kurzer Zeit darauf hin, dass er "massive Zweifel" am Urteil des Erstgerichts habe. Nach einer 45-minütigen Beratung, während der im Nebenzimmer hörbar angeregt diskutiert wurde, begründete Krenn den Freispruch.

"Ersturteil bedenklich"

Die Erstrichterin habe etwa Aussagen Adamovichs "aus dem Zusammenhang gelöst" und nicht berücksichtigt, dass er alles klar als subjektive Meinung und "vorsichtig formuliert" habe. Ihr Urteil sei mit "erheblich bedenklichen Feststellungen" behaftet und "der Wissensstand" des Mannes unberücksichtigt.

Zudem habe Adamovich nie einen konkreten Vorwurf gegen die Mutter gerichtet und gesagt, nur "Anhaltspunkte und keine zwingenden Beweise" für seine Überlegungen zu haben. Seine Aussagen überschritten nicht die Grenzen der Meinungsfreiheit, erklärt der Richter.

Adamovichs Anwältin, Isabel Funk-Leisch, wies darauf hin, dass jene Indizien, auf die sich ihr Mandant berief, "sehr wohl unter Beweis gestellt werden können, was jedoch vom Erstgericht nicht gemacht worden sei.

Nicht befangen

In Justizkreisen war moniert worden, dass die Richterin, Birgit Schneider, die Adamovich im Dezember 2009 schuldig und zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt hatte, den Fall nicht wegen Befangenheit abgelehnt habe.

Denn Schneider ist die Tochter des ehemaligen Leiters der Staatsanwaltschaft Wien, Otto Schneider, der selbst mit dem Fall Kampusch befasst war. Er ist einer jener fünf Staatsanwälte, gegen die bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck Ermittlungen wegen des Verdachtes des Amtsmissbrauches in der Causa Kampusch laufen.

Sirnys Anwalt nannte den Freispruch, gegen den kein Rechtsmittel mehr zulässig ist, "weltfremd". (DER STANDARD Printausgabe, 23.12.2010)

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