Die "Zweite Gruft" in Wien soll zur Dauereinrichtung inklusive Beratungsstelle werden, wünscht sich Caritas-Direktor Michael Landau. Es gebe darüber bereits "konstruktive Gespräche".

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Standard: In Deutschland meldet sich die Zivilgesellschaft lautstark zu Wort. Hoffen Sie darauf, dass auch in Österreich bald der "Wutbürger" auf die Straße geht - etwa gegen die Asylpolitik?

Michael Landau: Ich habe den Eindruck, dass es bei den Bürgern unseres Landes zunehmend soziale Sensibilität gibt. Ich denke da etwa an die Initiative "Gegen Unrecht, Kinder gehören nichts in Gefängnis", bei der innerhalb von wenigen Wochen mehr als 100.000 Menschen Unterstützungserklärungen abgegeben haben. Auch die Pfarrgemeinden sind so etwas wie Kraftwerke der Solidarität.

Standard: Große Protestwellen bleiben dennoch aus. Lassen sich die Österreicher zu viel gefallen?

Landau: Bei der Budgetdebatte hat eine breite gesellschaftliche Diskussion eingesetzt, wo gesagt wird, es kann nicht sein, dass auf Rücken derer gespart wird, die sich nicht wehren können, im Bereich Familie, Pflege oder Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube, wir müssen diese Diskussionen noch viel deutlicher und viel entschiedener führen.

Standard: Im Wiener Wahlkampf haben sie den ausländerfeindlichen Grundton kritisiert. Jetzt regiert Rot-Grün, wird sich die Integrationsdebatte dadurch ändern?

Landau: Ich habe den Eindruck, dass sich in der Integrationsdebatte schon vor der Wahl einiges positiv weiterentwickelt hat. Unsere Forderungen bleiben unter jeder Regierung die gleichen: Es braucht auf jeden Fall einen Rationalitätsschub in der Debatte. Die Rot-Weiß-Rot-Card ist dafür ein sinnvolles Instrument. Denn das Hauptproblem ist ja, dass es derzeit keine geordnete Migrationspolitik gibt. Dabei mangelt es nicht an Papieren und Plänen, es mangelt an Tempo und am Willen, diese Pläne mit Leben zu erfüllen - etwa was die Anerkennung von Qualifikationen anbelangt.

Standard: Die Caritas betreibt eine Obdachloseneinrichtung für Nicht-Österreicher. Lockt die "Zweite Gruft" Zuwanderer an, die keine Chance auf ein Leben hier haben?

Landau: Dabei geht es um ein europäisches Thema, deshalb sind auch europäische Lösungen notwendig. Die Armutsproblematik in der Ostslowakei lässt sich nicht lösen, indem man einfach die österreichischen Obdachloseneinrichtungen dafür öffnet. Auf der anderen Seite ist aber auch klar: Niemand soll unversorgt auf der Straße stehen müssen. Was wir uns wünschen, ist eine gemeinsame, ganzjährige Lösung mit der Stadt Wien, das lässt sich nicht mit Spendengeldern finanzieren. Die Zweite Gruft ist ja nur eine Übergangslösung.

Standard: Gegen eine fixe Einrichtung hat sich Wien bisher gewehrt.

Landau: Da hat sich in den vergangenen Jahren einiges sehr positiv weiterentwickelt. Wir sind in sehr konstruktiven Gesprächen. Ich glaube, es braucht ein fixes Notquartier mit Rückkehr- und Sozialberatung.

Standard: In Deutschland kritisieren Experten, dank Hartz IV würden sich viele erst gar nicht mehr um einen Job bemühen. Warum sind Sie trotzdem für die Mindestsicherung?

Landau: Manchmal wird ja so getan, als könnte man sich die Mindestsicherung aussuchen. Faktum ist, dass sie an sehr strenge Regelungen gebunden ist, mit der Bereitschaft, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Ich glaube, die österreichische Regelung ist da besser als die deutsche. Ziel ist, dass die Menschen den Wiedereinstieg in den Erwerbsarbeitsprozess schaffen. Wir sehen ja auch in unseren Beratungsstellen: Viele Menschen suchen Arbeit wie einen Bissen Brot und finden keine. Ich wünsche mir kein Ausspielen mehr von Working Poor und Beziehern von Mindestsicherung. (Martina Stemmer/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26. Dezember 2010)