Was schert mich mein Geschwätz von gestern: Unter diesem Motto Adenauers stand die Budgetrede von Finanzminister Karl-Heinz Grasser. So ziemlich alles, was in der Regierung Schüssel I noch mit missionarischem Feuereifer verkündet und erfunden wurde, ist nun nicht mehr wahr, wurde so nie gesagt, ist leider nicht mehr möglich.

Budgetpolitik als Ausdruck von dynamischen Visionen und präzisem Gestaltungswillen? Das ist eher nichts für die modernen Macher der Wende und behindert auch nur die Flexibilität.

Wie orientierungslos die Budgetpolitik betrieben wird, zeigt die Entwicklung des ersten genialen Marketingschmähs Grassers, des Nulldefizits. Dieses existiert seit der gestrigen Budgetrede in drei Varianten. Variante 1 galt vom Sommer 2000 fast bis zum Knittelfelder Regierungsende im Spätsommer 2002. Nulldefizit bedeute: keine weiteren Schulden mehr, zu keiner Zeit, sagte damals der Finanzminister.

Spätestens nach den Neuwahlen im Herbst 2002 wurde Variante 2 offiziell eingeführt: Nulldefizit bedeute ein ausgeglichenes Budget über den Konjunkturzyklus. Also: Defizite in schlechten Zeiten und Gewinne in guten Phasen müssen zusammengerechnet null ergeben. Warum dann im Krisenjahr 2001 ein Nulldefizit auf Kosten öffentlicher Investitionen die marode Wirtschaft zusätzlich belasten musste, hat Grasser bis heute nicht erklärt.

Variante 3 wurde nun im Zuge der Budgetrede bekannt: Nulldefizit heißt ab sofort nicht mehr, dass gute und schlechte Jahre in Summe null ergeben müssen, sondern dass irgendwann nach vielen Schuldenjahren wie 2003 bis 2007 auch wieder ein Budget kommt, das "nahe null" ist. Dass laut Budgetplan bis 2007 mehr als elf Milliarden Euro oder fünf Prozent neue Schulden gemacht und diese auch wieder verdient werden müssten, um null zu erreichen: Das kümmert genau den Finanzminister plötzlich nicht mehr, der noch vor zwei Jahren posaunte: "Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget."

Dem Beispiel des Nulldefizits ließen sich noch beliebig viele anfügen: die "größte Steuerreform aller Zeiten", die unter dem Strich etwa die Lohnsteuer auf das Niveau zurückbringt, das die Regierung beim Amtsantritt 2000 vorgefunden hat. Eine "Eigenkapitaloffensive" für Unternehmen, die 90 Prozent aller Firmen von dieser Reform ausschließt. Und natürlich eine Pensionsreform, die zu einer Budgetsanierungsaktion missbraucht wird.

Doch für all das den Schwiegermutterschwarm Grasser allein verantwortlich zu machen hieße, ihn maßlos zu überschätzen. So wie er kein Problem damit hatte, 1994 noch massiv gegen den EU-Beitritt zu wettern, das Volksbegehren gegen den Euro zu unterschreiben und später gegen den Ankauf von "Kriegsgerät" wie die Abfangjäger zu mobilisieren, so leicht fiel ihm der Austritt aus der FPÖ aus karrieretechnischen Gründen, so leicht konnte er in der Budgetrede nun bekräftigen, dass die Sicherheit in Österreich nicht einige Meter über dem Boden enden könne und das Land deshalb unbedingt die teuersten Abfangjäger benötige.

Auch der oft misshandelte Vergleich, Österreich stehe im Vergleich zu Deutschland oder Frankreich blendend da, stimmt einfach nicht: Bei gleicher Steuer- und Abgabenquote wie in Deutschland würde das österreichische Budgetdefizit heuer stolze fünf Prozent (!) betragen. Dass Österreich blendend dasteht, ist also alleiniges Verdienst der Steuerzahler.

Wolfgang Schüssel erwies sich als genialer Taktiker, als er mit Grasser eine Kreation Jörg Haiders von der FPÖ isolierte und ihn damit zur willfährigen Marionette der ÖVP machte. Gefährlich ist Grasser nicht, er führt nur blendend aus, was ihm aufgetragen wird. Gefährlich sind eher diejenigen, die sich seiner bedienen. Denn wie sagte Grasser gestern: Gewinnen werden die Schnellen und Guten. Und nicht die Langsamen und Konzeptlosen. Keine gute Prognose für ihn - und Österreich. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.5.2003)