Bei der Präsentation eines "Gegenentwurfs" zur Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder griff der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, am Donnerstag auch den SPD-Chef an. "Der Bundeskanzler ist nicht gut beraten, die Gewerkschaften zur Mäßigung aufzurufen." Schröder solle insbesondere unterlassen, einzelne Personen anzugreifen. "Das verschärft nur das Klima." Schröder hatte am Mittwochabend bei der SPD-Regionalkonferenz insbesondere den Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft verdi, Frank Bsirske, attackiert und sich persönliche Angriffe verbeten.
Sommer stellte ein Fünf-Punkte-Programm vor, mit dem er eine "Umkehr in der Wirtschafts- und Finanzpolitik" erreichen will. Kern ist ein Investitionsprogramm von mehr als 15 Milliarden Euro, das ein zusätzliches Wachstum von 1,5 Prozentpunkten bringen soll, so Sommer. Finanziert werden soll das Programm unter anderem durch ein rückwirkendes Vorziehen der Steuerreform, das vor allem Bezieher geringerer und mittlerer Einkommen entlastet. Dadurch sollen die Deutschen zu mehr Konsum angeregt werden. Außerdem wird eine höhere Neuverschuldung in Kauf genommen, was aber die Regeln des Stabilitätspaktes eigentlich verbieten.
Die Forderung nach einer höheren Besteuerung von Erbschaften und Börsenumsätzen sowie einer Anhebung der Mehrwertsteuer hat der DGB jedoch nicht in sein Programm geschrieben. Auf Nachfragen von Journalisten machte Sommer jedoch deutlich, dass er prinzipiell daran festhalte und dies "auch eine Finanzierungsmöglichkeit" sei.
Der DGB will mit seinem Konzept erreichen, dass Schröders Reformpläne wie die Kürzungen der Sozialleistungen, Lockerung des Kündigungsschutzes und kürzerer Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes "nicht mehr notwendig sind". Aber auch Sommer betonte: "Wir sind nicht der Auffassung, dass alles so bleiben kann, wie es ist." Er hoffe, dass Schröder möglichst viele der DGB-Vorschläge übernehme. Das Gesprächsklima mit dem Kanzler bezeichnete Sommer als "weiterhin gut". Er bemühte sich, den Streit innerhalb des DGB, ob Gesprächsangebote mit Schröder und der SPD angenommen werden sollen, herunterzuspielen. Auf Druck der Chefs der beiden größten Einzelgewerkschaften verdi und IG Metall, Bsirske und Klaus Zwickel, hatten die Gewerkschaftsführer einen Termin mit dem Kanzler am Dienstag platzen lassen.
"Wir wollten deutlich machen, dass wir nicht in der Rolle des Neinsagers sind. Das unterscheidet uns auch von der Basta-Republik", sagte Sommer unter Anspielung auf den "Basta"-Ausspruch Schröders, mit dem dieser im Jahr 2000 die Debatte über die Pensionsreform bei einem Gewerkschaftskongress abgewürgt hatte. Damit wolle der DGB auch Kritikern entgegentreten, die behaupteten, "dass wir nichts auf der eigenen Pfanne haben".
Danach gefragt, ob die deutschen wie die österreichische Gewerkschaften vorgehen wollen, antwortete Sommer: "Das ist eine politische Auseinandersetzung und dabei bleibt es." Der DGB wolle "ein Umsteuern in der Finanzarchitektur". Die Gewerkschaften wollen Mitte Mai eine Aktionswoche veranstalten, in der sie die Bürger über die negativen Auswirkungen von Schröders Agenda 2010 aufklären, so Sommer.
Eine erste Antwort hatte Schröder den Gewerkschaften schon bei der SPD-Regionalkonferenz gegeben. Er warf ihnen vor, mit ihrer Forderung nach höherer Staatsverschuldung eine Politik auf Kosten künftiger Generationen zu betreiben.(DER STANDARD, Printausgabe, 9.5.2003)