Wien - Es wäre wohl allzu sensationell und würde all das, was man bisher über die Geschichte des Homo sapiens weiß, völlig auf den Kopf stellen. Am Montag ließ Avi Gopher von der Universität Tel Aviv per Pressekonferenz verlauten, womöglich bis zu 400.000 Jahre alte Zähne von Homo sapiens in der Quesem-Höhle in Israel entdeckt zu haben.
Der Forscher fügte hinzu, dass der Fund "das gesamte Bild der Evolution" verändern könnte. Das ist insofern nicht ganz falsch, da laut bisheriger Lehrmeinung der moderne Mensch erst knapp 200.000 Jahre alt ist, aus Ostafrika stammt und erst vor knapp 100.000 Jahren über den Nahen Osten nach Europa und Asien einwanderte.
In der dazugehörigen Publikation im nicht allzu renommierten Fachblatt "American Journal of Physical Anthropology" geben sich die Forscher um Gopher etwas zurückhaltender: Weitere Untersuchungen müssten erst noch die Annahme erhärten, dass es sich tatsächlich um Homo-sapiens-Zähne handelt.
Bence Viola, Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, ist auf Standard-Nachfrage skeptisch, ob das gelingen wird. Er findet, dass das Material aus Qesem nicht ausreiche, um so radikale Schlussfolgerungen zu ziehen: "Das meiste Zahnmaterial ist extrem schlecht erhalten und morphologisch unklar." Zudem seien Zähne als Beweismaterial prinzipiell nicht allzu zuverlässig.
Das wissen wohl auch die israelischen Forscher. Im Fachartikel schließen sie jedenfalls nicht aus, dass die Zähne Neandertalern gehört haben könnten. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 30. 12. 2010)