Das Jahr 2010 wird iranischen Journalisten in Erinnerung bleiben. 130 Jahre nach Erscheinen der ersten Zeitung im Iran ist freie Berichterstattung heute kaum noch möglich. Jeder freie Journalist wird verdächtigt, an einer Verschwörung beteiligt zu sein. Es werden neue Strafkategorien ersonnen, um Medienleute in ihrer Arbeit zu behindern. Dies zeigte zuletzt die Verhaftung von drei Journalisten unter dem Verdacht, einen offenen Brief beabsichtigt zu haben. Erst jüngst gab der Informationsminister öffentlich zu, gesetzeswidrig alle verdächtigen E-Mails von Journalisten zu kontrollieren.

Mehr als ein Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl wird der Kreis der sogenannten Vertrauten immer enger. Kaum ein Tag, an dem nicht ein Politiker oder einer von der alten Garde der Revolutionäre sich von dieser Regierung distanziert und unter Protest seinen Posten aufgibt. Die Absetzung des Außenministers während einer offiziellen Auslandsreise zeigt nach Meinung vieler früherer Weggefährten von Mahmud Ahmadi-Nejad, wie der einflussreiche konservative Abgeordnete Ahmad Tawakoli vergangene Woche im Parlament formulierte, dass man bei dieser Regierung vergeblich nach Anstand und Moral suche.

Jeder Künstler, Journalist, Schriftsteller, Filmemacher, Rechtsanwalt und Universitätsprofessor steht a priori unter Verdacht, mit sogenannten Verschwörern, wie die grüne Bewegung und deren Anführer vom Regime genannt werden, zu sympathisieren oder in Kontakt zu stehen. Sogar Ex-Präsident Mohammed Khatami wird inzwischen verdächtigt, mit ausländischen Agenten und Gegnern der Islamischen Republik an Verschwörungen beteiligt zu sein. Er hatte in einem offenen Brief mit Blick auf die Parlamentswahl im Sommer die Regierung aufgefordert, freie Wahlen zu garantieren und die Restriktionen aufzuheben.

Die konservative Zeitung Keyhan forderte daraufhin den Staatsanwalt am Mittwoch in einem Leitartikel auf, Khatami wegen Verrats anzuklagen. Keyhan genießt als einzige Zeitung im Iran die Freiheit, politisch missliebige Personen zu verdächtigen und Rufmord zu verüben, ohne mit Folgen rechnen zu müssen. Es ist kein Geheimnis, dass diese Zeitung als Sprachrohr des Büros des religiösen Führers fungiert.

Trotz aller Einschränkungen regt sich aber vielfach ziviler Ungehorsam. So werden die Bekleidungsvorschriften kaum eingehalten, und wie sich bei den Provinzreisen Ahmadi-Nejads zeigt, ist die Regierung nicht mehr in der Lage, die Massen zu mobilisieren. Das Jahr 2010 ist durch politische Repression und zugleich durch wachsende Ohnmacht der Regierenden gekennzeichnet. (N.N.* aus Teheran/DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2010)