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Schärpenübergabe in Brasília: Präsidentin Dilma Rousseff mit ihrem Vorgänger und Förderer Lula da Silva bei ihrer Amtseinführung in der brasilianischen Hauptstadt am Samstag.

Foto: Reuters

Als Dilma Rousseff am Samstag unweit der modernistischen Kathedrale Brasílias in den Rolls-Royce stieg, der sie im Schritttempo bis zum Kongressgebäude bringen sollte, regnete es in Strömen. Der Begeisterung unter den 30.000 Anhängern der linken Arbeiterpartei, die zum Amtsantritt von Brasiliens erster Präsidentin aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gekommen waren, tat dies aber keinen Abbruch.

Gemeinsam mit Vizepräsident Michel Temer von der verbündeten Zentrumspartei PMDB legte die 63-jährige Ex-Guerillera und mehrfache Ministerin im Parlament den Amtseid ab. Pünktlich hellte es auf. Dann schritt Rousseff im weißen Kostüm die Rampe zum Planalto-Präsidentenpalast hinauf und fiel ihrem politischen Ziehvater Luiz Inácio Lula da Silva in die Arme. Der Exgewerkschafter, der nach acht Jahren mit einer Rekordzustimmung von 87 Prozent aus dem Amt schied, hängte seiner Parteifreundin die grün-gelbe Amtsschärpe um.

In ihren beiden Antrittsreden kündigte Rousseff an, sie werde Lulas sozialen Kurs fortsetzen. "Der hartnäckigste Kampf meiner Regierung wird es sein, die absolute Armut abzuschaffen", sagte die Ende Oktober mit 56 Prozent gewählte Präsidentin.

Trotz umfangreicher Sozialprogramme leben immer noch 18 Millionen der 190 Millionen Brasilianer im Elend. Sie werde den Sozialstaat mit öffentlicher Altersvorsorge und Basisdiensten für alle weiter ausbauen, versprach Rousseff. Brasilien habe das Zeug, eine der "am meisten entwickelten Nationen mit den geringsten sozialen Unterschieden zu werden, ein Land mit einer soliden Mittelschicht voller Tatendrang".

Besonderes Augenmerk will Rousseff auch der Verbesserung des Bildungs- und Gesundheitswesens widmen. Das hierfür erforderliche Wachstum dürfe aber nicht auf Kosten der Umwelt gehen, beteuerte Rousseff: "Es ist unsere heilige Mission, der Welt zu zeigen, dass ein Land rasch wachsen kann, ohne die Umwelt zu zerstören." Brasilien wolle "Weltmeister der sauberen Energien" bleiben, neben Wind- und Solarkraft gehören in Rousseffs Lesart dazu auch Agrotreibstoffe und Wasserkraft aus Großstaudämmen.

Von ihrem Vorgänger übernimmt sie ein boomendes Land, in dem 20 Millionen Menschen seit 2003 in die Mittelschicht aufgestiegen sind. In den letzten Jahren wurden vor der Küste im Südosten große Ölvorkommen entdeckt. 2014 richtet Brasilien die Fußball-WM aus, 2016 die Olympischen Sommerspiele in Rio.
"Stabilität absoluter Wert"

Dank einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik mit wachsenden Staatsausgaben meisterte Brasilien die Weltfinanzkrise bislang gut. Stabilität mit einem ausgeglichenen Haushalt und niedriger Inflation bleibe jedoch für sie "ein absoluter Wert", betonte Rousseff. Doch Analysten verweisen auf eine überbewertete Währung und anhaltende Engpässe bei der Infrastruktur.

Auch außenpolitisch setzt Rousseff auf Kontinuität, also Annäherung an südamerikanische Nachbarn und Multilateralismus. Bezeichnend für diesen Geist war ein kurzer Plausch zwischen US-Außenministerin Hillary Clinton und Venezuelas Staatschef Hugo Chávez. Rousseff bekannte sich auch zur Aufarbeitung der Militärdiktatur (1964-85). Als Studentin war sie festgenommen und gefoltert worden. Nun lud sie demonstrativ elf Frauen ein, die damals mit ihr eingekerkert waren. (Gerhard Dilger aus Porto Alegre/DER STANDARD-Printausgabe, 3.1.2011)