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Bei Kindern sind Schlagspuren oft an Unterarmen oder am Hinterkopf lokalisiert, da sie sich mit einer Abwehrhaltung zu schützen versuchen.

Foto: APA/Helmut Fohringer

In Österreich seit 1989 Gesetz: Das absolute Gewaltverbot in der Kindererziehung. Über die „Watsche" als pädagogisches Mittel wird dennoch gelegentlich öffentlich diskutiert. Und beim Verteilen Nämlicher sind die Österreicher weit vorne dabei: „Eine Studie aus dem Jahr 2008 hat ergeben, dass hierzulande 50 Prozent aller Eltern nach wie vor leichte Ohrfeigen verteilen", so Christina Radner, Leiterin des Kinderschutzzentrum Wien. 

„Eine Watsche schadet nicht, mir hat sie ja auch nicht geschadet", so wird nicht selten von ehemals selbst Geohrfeigten schlagend argumentiert. Von dem gesetzlichen Anspruch der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung wissen dabei die wenigsten, geschweige denn davon, wo Kindesmisshandlung eigentlich beginnt. „Gewalt gegen Kinder definiert sich als gewaltsame Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlergehens durch Handlungen oder Unterlassungen", erklärt Radner. Liebesentzug und der Klaps auf den Po zählen dabei ebenso dazu, wie eine gehörige Tracht Prügel. Zwar hinterlässt nicht jede Misshandlung auch offensichtliche Spuren, die Schwelle erneut zu schlagen sinkt aber oft.

Blutergüsse und Verbrennungen

Josef Auböck, Vorstand der Dermatologischen Abteilung im AKH Linz ist mit der erschütternden Realität immer wieder sichtbar konfrontiert. „Die Haut ist in vielen Fällen Schauplatz von Misshandlungen", so der Dermatologe. Blutergüsse sind dabei häufig wegweisend. In Form von Fingerabdrücken, Gürtelschnallen, Striemen oder Schlingen bekommt sie Auböck bisweilen zu sehen. Bei Kindern sind diese Schlagspuren oft an den Unterarmen oder am Hinterkopf lokalisiert, da sie sich mit einer Abwehrhaltung zu schützen versuchen. Bei Säuglingen lassen sich Blutergüsse an prominenten Stellen wie der Nase, Kinn, den Knien oder Ellbogen noch durch zufällige Stürze erklären. Im restlichen Gesicht, Hals, Brust- Bauch- und Gesäßbereich fällt das allerdings schwer. 

Neben Hämatomen lassen auch bestimmte Verbrennungs- und Verbrühungsmuster auf eine vorausgehende Misshandlung schließen. „Wenn ein Kind in kochendes Wasser getaucht wird, dann zieht es sich instinktiv zusammen. Demzufolge zeigt die Haut in den Falten keine ausgeprägten Verbrennungen", weiß Auböck und erwähnt ergänzend auch noch diskrete Hautveränderungen an den Ohren nach einem Schütteltrauma. 

Bei der Befunderhebung leisten nicht nur Dermatologen ganze detektivische Arbeit, denn typische Verletzungsmuster nach Misshandlungen zeigen sich unter anderem auch im Bewegungsapparat und HNO-Bereich. Der Mund als Schrei- und Essorgan ist dabei besonders häufig die Zielscheibe. Im „Fütterungskampf" kann es zu Prellungen, Perforationen und Verbrennungen in der Mundhöhle kommen, eine Ohrfeige zieht mitunter die Ruptur des Trommelfells nach sich.

Auffällige Vorgeschichte

Ein professioneller Blick auf das Kind und das Gespräch mit den Eltern sind entscheidend. Fehlt die Erklärung für den Unfallhergang beziehungsweise ist die Diskrepanz zwischen der Vorgeschichte und dem klinischem Befund zu groß, dann erhärtet das einen ersten Verdacht. Voreiliges Beschuldigen ist dennoch nicht angebracht. „Auf keinen Fall die Eltern mit der Frage, ob sie ihr Kind misshandeln, konfrontieren", betont Auböck. Ruhe bewahren um Zeit zu gewinnen, ist die Devise. Und so werden neben einer exakten Fotodokumentation, vorerst Kinderärzte, Psychologen und das Kinderschutzzentrum involviert.

Wertvolle Zeit, die in Hinblick auf die misshandelten Kinder, jedoch zu drängen scheint. Die Strategie macht aber Sinn. „Die Eltern lernen aus der Interaktion, bereiten sich auf Fragen im Krankenhaus vor und simulieren korrekt", so der Linzer Experte und betont, dass Angst vor möglichen Konsequenzen, viele Eltern von vornherein daran hindert mit ihrem verletzten Kind überhaupt einen Arzt aufzusuchen. Zum medizinischen Schutz der Kinder, folgen daher polizeiliche Anzeige und Inobhutnahme eines Kindes durch das Jugendamt erst ganz zuletzt.

Anonyme Hilfe

So tragisch die Folgen für die Kinder in jedem Fall sind, nicht immer wird Gewalt bewusst als erzieherisches Mittel eingesetzt. Vielmehr ist sie häufig ein Akt der Hilflosigkeit. Das Kinderschutzzentrum ist deshalb bemüht zu verstehen und nicht zu verurteilen. Rat suchende Eltern und Kinder können sich dort anonym Hilfe holen. „Viele Eltern haben ein völlig falsches Bild davon was Kinder brauchen beziehungsweise was man ihnen zumuten kann. Zu glauben, ein einjähriges Kind könnte sich stundenlang alleine beschäftigen, ist einfach falsch", weiß Radner und bietet mit ihrem multiprofessionellen Team den Betroffenen umfassende Unterstützung an. 

Neben Beratung, bieten Kinderschutzzentren Psychotherapien und gegebenenfalls Kriseninterventionen in Fällen von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche an. Hilfe zur Selbsthilfe statt Strafe bzw. Strafandrohung - Mit diesem Ziel vor Augen versuchen diese Einrichtungen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Betroffenen langfristig ermöglichen selbst für den Schutz und das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. 

„Wir Hautärzte sind aufgefordert daran zu denken. Es gibt Hinweise, aber diese muss man als solche auch erkennen und richtig interpretieren", ergänzt Auböck und will nicht nur das Bewusstsein von Ärzten, sondern aller Menschen schärfen. (derStandard.at, 4.1.2011)