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Das Eis der peruanischen Cordillera Blanca stellt ein Viertel aller tropischen Gletscher und leidet an akutem Masseschwund.

Foto: Archiv

Georg Kaser arbeitet gerne am "lebenden Patienten" , wie er sagt, denn das hätte handfeste Vorteile: Klimaveränderungen lassen sich gut am Krankheitsbild eines Gletschers, also an dessen verändertem Aussehen und vor allem am Eisschwund, ablesen. Allerdings müsse seine Zunft, so der Glaziologe vom Innsbrucker Institut für Meteorologie und Geophysik, jetzt vielleicht sogar noch ein wenig vorsichtiger mit der Interpretation von Beobachtungen sein. "Jetzt" - das bedeutet nach der immer noch nicht verwundenen Schlamperei im Bericht des UN-Weltklimarats, der zufolge die Himalaya-Gletscher bereits im Jahr 2035 verschwunden sein würden.

Kaser, der früh auf diesen Fehler im Bericht hingewiesen hatte, hält aber ohnehin die überschaubaren Eismassen der Cordillera Blanca für aufschlussreicher. Dieser peruanische Patient liegt in einem geografisch ungewöhnlichen "Krankenbett" : den Tropen. Und diese Anden-Gletscher reagieren auch bedeutend schneller auf klimatische Veränderungen als das Eis in mittleren Breiten.

Aufbauend auf die frühen Forschungen des Innsbrucker Geografen Hans Kinzl in den 1930er-Jahren, unterhält nun die Innsbruck Tropical Glaciology Group (ITGG), deren Leiter Kaser ist, seit 1999 ein Forschungsnetzwerk in der Cordillera Blanca. Wesentliches Ziel der vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekte ist es, die Veränderungen der Gletscher zu dokumentieren und deren Ursachen festzustellen.

Sensiblere Tropengletscher

Allzu simple Kausalitäten ließen sich von den kleiner werdenden Andengletschern laut Kaser aber nicht ableiten. Das läge vor allem am tropischen Klima selbst: Thermische Jahresgänge, also saisonale Temperaturschwankungen, sind dort sehr gering - das gilt noch mehr für die hohen Berge als für die tiefen Lagen. Die Jahreszeiten sind aber deutlich durch eine Feucht- und eine Trockenzeit charakterisiert. Verändern sich Dauer und Intensität der Regen- und Trockenzeiten, so reagieren die Gletscher in den Tropen stark.

Kaser gibt weiters zu bedenken, dass die Zeitreihen von Messdaten aus den Anden viel zu kurz seien, um daraus einfache Rückschlüsse auf die von Menschen verursachte Klimaveränderung zu ziehen. Daher setzt das Innsbrucker Team sogenannte ESD-Rechenmodelle ein, um von globalen Simulationen auf die Vorgänge auf den Gletschern zu schließen. Die bereits in mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen veröffentlichten Ergebnisse deuten nun klar auf geänderte Feuchteverhältnisse in der Cordillera Blanca hin. Dabei bedeutet mehr oder weniger Feuchte, nicht einfach mehr oder weniger Schnee: "Ist die Luft feucht, ohne dass es allerdings schneit, führt dies in einem thermisch homogenen Klima zu starker Gletscherschmelze" , so Kaser.

Wie weit nun die rekonstruieren Schwankungen der Luftfeuchte über der Cordillera Blanca dem vom Menschen verursachten Klimawandel zuzuschreiben sind und wie viel davon durch interne Variabilitäten im Klimasystem - etwa dem El Niño - verursacht werden, kann noch nicht endgültig beantwortet werden. "Das Zuordnen von beobachteten Veränderungen zu der einen oder anderen Ursache ist ein schwieriger Indizienprozess. Wir können eben leider nicht wie in der Physik das Experiment beliebig oft wiederholen" , so Kaser.

Eis in Afrika schmilzt meist

Um die Erkenntnisse aus Peru auf die gesamten Tropen ausweiten zu können, untersucht Kaser mit seinen Mitarbeitern auch seit Jahren die Gletscher in Ostafrika - etwa jene auf dem Kilimandscharo. Kasers "fundierte Hypothese" zum Eis auf diesem alleinstehenden höchsten Berg Afrikas: "In dieser extrem trockenen Luft kann Eis, das durch Ausnahmeniederschläge wie jenen in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgebaut wurde, eigentlich nur wieder verschwinden. Aber das genaue Wie sagt uns viel über sich ändernde Feuchteverhältnisse."

Auf den ersten Blick erscheint eine Eisschmelze am Kilimand-scharo also keineswegs mit Klimaveränderungen in Zusammenhang stehen zu müssen. Die globale Erwärmung kommt aber auch hier wieder über den Umweg einer Verschiebung von Niederschlagszonen in den Tropen ins Spiel. Weil die Luft dort jedoch deutlich unter dem Gefrierpunkt ist, kann das Eis auf dem Kili-mandscharo wenig über Temperaturänderungen vor Ort verraten.

Mehr Erkenntnisse über genau diese möglichen Temperaturänderungen in der tropischen Atmosphäre erwartet sich das Innsbrucker Team von kürzlich begonnenen Untersuchungen am Mount Kenya. Dessen Gletscher liegen zwar nur 300 Kilometer nördlich des Kilimandscharo, sie reichen aber immerhin 1000 Meter tiefer.

Neben der Rekonstruktion von Veränderungen in der Luftfeuchtigkeit - und damit der Veränderung von Zirkulationsmustern als Folge der globalen Erwärmung - verfolgen die Innsbrucker Glaziologen aber noch ein weiteres Forschungsinteresse: Die Gletscher in der Cordillera Blanca sind letztlich auch von großer wasserwirtschaftlicher Bedeutung. Im Rio-Santa-Tal kommt während der Trockensaison praktisch das gesamte verfügbare Wasser von diesen Gletschern. Durch den starken Gletscherrückgang ist in den letzten Jahrzehnten mehr Wasser zur Verfügung gestanden - es haben sich bedrohliche Seen über den rund 2000 Höhenmetern über den Städten gebildet. Doch selbst dieses Bedrohungsbild ist trügerisch: Die stark schrumpfenden Gletscher werden schon in naher Zukunft wieder deutlich weniger Wasser abgeben. Erste Veränderungen in diese Richtung wurden vom Innsbrucker Team um Kaser nun nachgewiesen. (Sascha Aumüller/DER STANDARD, Printausgabe, 05.01.2011)

=> Wissen: Rechnen mit dem Niño und Tropeneis

Wissen: Rechnen mit dem Niño und Tropeneis

Die Cordillera Blanca in den nördlichen Anden Perus ist mit einer Länge von 180 Kilometern und Gipfeln über 5700 Metern Seehöhe die höchste Gebirgskette des amerikanischen Kontinents. Deren Eismasse besteht aus über 600 Einzelgletschern, die zusammen das größte tropische Eismassiv darstellen.

ESD-Modelle (empirical-statistical-downscaling) werden seit den 1980er-Jahren von Klimatologen verwendet. Mit dieser Methode soll abgeschätzt werden, wie sich globale klimatische Bedingungen auf lokale Klimavariablen "herunterrechnen" lassen. Die ESD-Methode wird auch angewandt, um den menschlichen Einfluss auf die Erderwärmung zu klären.

Der Begriff El Niño bezeichnet nichtzyklische, veränderte Strömungen im Pazifik und die dadurch hervorgerufene Erwärmung der Meeresoberfläche. US-Klimatologen haben nun nachgewiesen, dass zumindest bei kurzfristigen, natürlichen Phänomenen wie El Niño der wärmende Einfluss der Wolken auf die Erde stärker wächst als der kühlende. Klimawandelskeptiker hatten bislang das Gegenteil behauptet. (saum)