Franz-Joseph Huainigg verwahrt sich gegen "Versuche, die Schadensersatzdebatte krampfhaft in eine Abtreibungsdebatte umzudeuten" und hofft auf einen baldigen Parlamentsbeschluss der Bandion-Ortner'schen Gesetzesinitiative - "im Interesse behinderter Menschen und der
schwangeren Frauen".

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Die Debatte rund um OGH-Urteile, die Eltern von unerwünscht geborenen behinderten Kindern Schadenersatzsummen bis zur Höhe der Gesamtkosten für den Lebensunterhalt zusprachen, hat die rot-schwarze Koalition veranlasst, im aktuellen Regierungsprogramm klar und deutlich festzulegen:

"Es ist außer Streit zu stellen, dass selbstverständlich die Geburt und Existenz eines Kindes mit Behinderung kein Schaden ist, wie groß die Betroffenheit und Trauer der Eltern über die Tatsache der Behinderung ihres Kindes auch sein mag."

Angeborene Behinderungen sind schicksalhaft unabwendbar, und es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind. Ärzte können nicht für schicksalhafte Behinderungen zur Verantwortung gezogen werden, zumal auch nur zwei bis drei Prozent aller Behinderungen überhaupt vorgeburtlich diagnostizierbar sind.

Behinderungen, die Ärzte durch einen Kunstfehler oder durch die Nichtanwendung einer gesundheitsverbessernden Therapie verursacht haben, bleiben auch weiterhin schadenersatzpflichtig. Diese wichtige Unterscheidung hat die Justizministerin, wie im Koalitionsübereinkommen festgelegt, als Änderung im Schadensersatzrecht getroffen. Dabei stützt sie sich auf die Empfehlungen von Juristen, Sozialwissenschaftern, Richtern, behinderten Menschen und deren Vertretungsorganisationen, die diese im Rahmen einer Expertenenquete am 22. 3. 2010 formuliert haben.

Georg Graf versucht in seinem Kommentar (STANDARD, 29. 12.) krampfhaft, die Schadensersatzdebatte in eine Abtreibungsdebatte umzudeuten. Dabei wird die Fristenregelung durch die Gesetzesinitiative weder infrage gestellt noch ausgehöhlt. Graf darf als Jurist jedoch daran erinnert werden, dass es kein Recht auf Abtreibung gibt, wie er fälschlicherweise behauptet, sondern die Abtreibung straffrei gestellt ist. - Und das ist auch richtig und gut so, da wir nicht in Zeiten zurückwollen, wo Frauen in Hinterzimmern ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen mussten, um eine Abtreibung durchzuführen.

Unzumutbarer Ist-Zustand

Die Pränataldiagnostik bietet wichtige und wertvolle Informationen über den Gesundheitszustand eines ungeborenen Kindes. Sie darf allerdings nicht als alleiniger Entscheidungsmaßstab für Spätabtreibungen dienen, sonst würde sie zu einem Instrument der Selektion von wertvollem und unwertem Leben, was ethisch-moralisch abzulehnen ist.

Graf darf weiters in Erinnerung gebracht werden, welch weitreichende Folgen die eingangs erwähnten OGH-Urteile haben:

1. Bei der medizinischen Betreuung von schwangeren Frauen drängen Ärzte dazu, die ganze Palette an vorgeburtlichen Untersuchungen durchzuführen - auch ohne Anlass -, mit zusätzlichen Risiken für das werdende Kind. Sie raten schon bei geringstem Verdacht auf eine Behinderung zur Abtreibung. Für Eltern, insbesondere die Frauen, gibt es keine Zeit der guten Hoffnung oder frohen Erwartung mehr - die Schwangerschaft ist geprägt von der Angst, etwas verabsäumt zu haben, von Unsicherheit und Stress. Sie stehen unter massivem Druck, nur ja ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Eltern, die von vornherein eine Abtreibung ablehnen, werden zudem finanziell benachteiligt, weil sie keinen Anspruch auf Schadensersatz haben.

2. Der Druck auf die Ärzte und Ärztinnen ist enorm. Sie müssen alles unternehmen, um jedes Risiko auszuschalten, mit hohen Schadensersatzforderungen konfrontiert zu werden. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf ihre Berufsausübung und die Praxis der Pränataldiagnostik insgesamt.

3. Durch das derzeitige Schadensersatzrecht und die darauf aufbauenden OGH-Entscheidungen sind behinderte Kinder ein "Schadensfall". Auch wenn in den einschlägigen Urteilen betont wird, dass das behinderte Kind keinen Schaden darstelle, sind die faktischen Bewertungen völlig anders, denn die Eltern erhalten eben nur deshalb Schadensersatz, weil das Kind behindert ist und dies vor der Geburt hätte festgestellt werden können. Gleichzeitig urteilte der OGH in einem anderen Fall gegen einen Schadensersatzanspruch eines Mannes, der trotz durchgeführter Sterilisation ein Kind gezeugt hat. Dieses unerwünschte nichtbehinderte Kind wurde im Gegensatz zu behindert geborenen Kindern nicht als Schadensfall anerkannt.

4. Die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Leben mit Behinderung wird dadurch negativ konnotiert. Zusätzlich überlässt man den Gerichten eine Wertung, die inhaltlich und vor dem Hintergrund der Menschenrechtskonvention äußerst problematisch ist. Die Richter selbst fordern auch aus diesem Grund eine rechtliche Klarstellung des Gesetzgebers.

Die legistische Initiative der Justizministerin ist daher - im Interesse behinderter Menschen und der schwangeren Frauen - in höchstem Maße begrüßenswert. (DER STANDARD-Printausgabe, 5./6.2011)