Der Skandal um dioxinverseuchtes Tierfutter nimmt immer größere Ausmaße an. Belastete Futterfette sind bereits länger verarbeitet worden als bisher angenommen. Bereits im März 2010 hat ein privates Institut erhöhte Dioxinwerte bei dem Futterfett-Hersteller Harles und Jentzsch aus Uetersen festgestellt, wie ein Sprecher des schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministeriums am Freitag in Kiel sagte. Auch danach habe es weitere Auffälligkeiten gegeben. "Jede für sich hätte gemeldet werden müssen." Das sei jedoch nicht geschehen.

Selbstanzeige zur Schadensabwendung

Auch das niedersächsische Unternehmen Wulfa-Mast aus Dinklage, das den aktuellen Skandal mit einer Selbstanzeige am 23. Dezember ins Rollen gebracht hatte, wusste laut Bundesagrarministerium schon einen Monat davor von der Kontamination einer verarbeiteten Charge Fett. Das Laborergebnis lag bereits am 27. November vor. "Offenbar wollte Wulfa-Mast zulasten der Landwirte und Verbraucher Schaden für das eigene Unternehmen abwenden", sagte der niedersächsische Agar-Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".

Wulfa-Mast widerspricht diesen Anschuldigungen. Man habe erst durch einen Laborbericht vom 22. Dezember Kenntnis von der Dioxinbelastung erhalten und "selbstverständlich umgehend noch am gleichen Tag das LAVES (Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) informiert". Die Prüfung des Futtermittels sei laut Laborberichten erst am 21. Dezember vollständig abgeschlossen gewesen. Ripke hätte gegenüber Wulfa-Mast die zeitliche Darstellung bereits als "unrichtig" bezeichnet.

Spedition womöglich als illegaler Hersteller

Im Visier der Staatsanwaltschaft ist neben der Firma Harles und Jentzsch aus Schleswig-Holstein auch eine Spedition aus dem niedersächsischen Bösel. Das niedersächsische Agrarministerium wirft der Spedition Lübbe vor, illegal Futterfett hergestellt zu haben, weil keine Genehmigung für das Lagern und Mischen vorgelegen haben soll. Es bestehe der Verdacht, dass Harles und Jentzsch die Spedition genutzt habe, um sich der Überwachung der Behörden zu entziehen, sagte Ministeriumssprecher Gert Hahne dem "Westfalen-Blatt" (Freitagausgabe). Von Bösel aus war mit Dioxin belastetes Futterfett bundesweit an Futtermittelhersteller geliefert worden.

"Die Indizien sprechen hier im Moment eher für ein hohes Maß an krimineller Energie", betonte ein Sprecher von Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, mit Blick auf den Futterfett-Hersteller aus Schleswig-Holstein. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittelt gegen das Unternehmen.

Bei Razzien im Firmensitz von Harles und Jentzsch sowie bei dem Partnerbetrieb Lübbe hatten die Behörden am Mittwoch zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt. Den Geschäftsführern werden Verstöße gegen das Lebens- und Futtermittel-Gesetzbuch vorgeworfen.

Zehntausende Tonnen Tiernahrung könnten betroffen sein

Das Kieler Agrarministerium erwartete noch am Freitag weitere Laborergebnisse von bei Harles und Jentzsch sichergestellten Fettproben. Landwirtschaftsministerin Juliane Rumpf (CDU) besuchte am Freitag einen von den Auswirkungen des Skandals betroffenen Schweinemastbetrieb in Schlamersdorf. Bei ersten Untersuchungen von 20 Proben schwankten die Werte zwischen 0,44 und 10,05 Nanogramm. In neun Fällen war der zulässige Grenzwert von 0,75 Nanogramm überschritten. Da nur geringe Mengen Fett ins Futter gemischt werden, können Schätzungen zufolge Zehntausende Tonnen Tiernahrung mit dem Umweltgift belastet sein.

Harles und Jentzsch hatte dioxinbelastetes Industriefett aus Emden über einen niederländischen Händler bezogen. Laut "Flensburger Tageblatt" (Freitagausgabe) hat die Staatsanwaltschaft Itzehoe deshalb Rechtshilfe in den Niederlanden in Anspruch genommen. Oberstaatsanwalt Ralph Döpper wollte dazu keine Auskunft geben.

Laut Bundesverbraucherministerium sind wegen Dioxin-Verdachts von den zuständigen Landesbehörden bundesweit gegenwärtig 4.709 Betriebe geschlossen, darunter überwiegend Schweinemastbetriebe. (APA/dapd/dpa)

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