
Verkatert in der Gegenkultur der späten 1960er: Jim Sullivan. Das fast vergessene Debütalbum "U.F.O." des grandiosen Singer-Songwriters Jim Sullivan wurde wiederveröffentlicht.
Wien - Fährt man von Los Angeles nach Nashville, kann man schon einmal vom Weg abkommen. Jim Sullivan ist aber nicht bloß vom Weg abgekommen, er ist verschwunden. Am 5. 3. 1975 wurde er von der Polizei angehalten, da er in Kurven über den Highway fuhr. Ein Alkoholtest in Santa Rosa (New Mexico) ergab: Sullivan war nüchtern. Nach 15 Stunden am Steuer litt der Musiker lediglich an Schlafmangel, weshalb ihm die Polizei ein Motel zum Ausschlafen empfahl. Am 8. März fand man dort seine Gitarre, seinen VW-Käfer entdeckte man 40 Kilometer entfernt am Grundstück einer Familie, der Beziehungen zur Mafia nachgesagt wurde. Sie waren die letzten, die Kontakt mit dem langhaarigen Schnauzbartträger hatten.
Der Singer-Songwriter war damals Ende 20 und sah für sich und seine Kunst in L. A. keine Chance mehr. Deshalb wollte er in der Country-Metropole Nashville neu beginnen, seine Familie sollte ihm später folgen. Im Gepäck hatte er seine neuesten Aufnahmen und seine beiden Alben. Das erste davon - U.F.O. - hatte er 1969 in einer Kleinstauflage veröffentlicht, über die Jahre ist es zum begehrten Sammlerstück geworden. Ende letzten Jahres wurde dieses fast vergessene Juwel vom Label Light in the Attic wiederveröffentlicht (Vertrieb: Hoanzl).
Sullivan kam in den Sixties von San Diego nach L.A. Dort erlangte er wegen seiner Songs und Shows lokale Bekanntheit. Als Kind der Gegenkultur feierte er mit Gleichgesinnten ausgiebig die Freuden der Zeit. Sullivan schien alles richtig zu machen, und er befand sich in prominenter Gesellschaft: Der Schauspieler Harry Dean Stanton war ein Freund der Sullivan-Familie, im Kultfilm Easy Rider war Sully, wie er gerufen wurde, in einer Nebenrolle zu sehen, und auf seinem Debütalbum spielte die Crème de la Crème der L.-A.-Studio-Musiker. Allesamt Mitglieder der so genannten Wrecking Crew. Also Musiker, die sonst nur für die Größten ihrer Zeit ins Studio gingen: Für Phil Spector, Sinatra, The Mamas & The Papas, Simon & Garfunkel, die Byrds, die Beach Boys... Dementsprechend überzeugend klingt U.F.O. heute noch - wenngleich die wiederveröffentlichte Version soundtechnisch aufwändig nachbehandelt wurde, da die Originalbänder nicht mehr auffindbar sind. Sullivan klingt da wie ein sonniger Tim Rose, dessen Labelkollege er mit seinem zweiten Album wurde: Eine satte Produktion trägt seine sonore Stimme, die das euphorische Lebensgefühl der Hippies ebenso vermittelt wie dessen Schattenseiten.
Jene Emotionen, die auftauchen, wenn die gefühlte und teilweise auch ungesund zugeführte Euphorie nicht in der Wirklichkeit ankommt. Denn trotz bester Kontakte - seine Frau arbeitete bei Capitol Records - kam die Karriere nicht so wie erhofft in die Gänge. Capitol Records fand Sullivans Arbeit zwar sehr gut, wollte aber nicht ihrem neu unter Vertrag genommenen Newcomer Konkurrenz machen: James Taylor. Sullivans Westcoast-Rock, mit Elementen von Folk und Country, die von Streichern und stellenweise Bläsern ins Breitwandformat transformiert wurden, blieb auf der Strecke. Ein kleines Drama, das sich öfter abgespielt hat. Doch wenige Wiederentdeckungen trotzen dem Zahn der Zeit so souverän wie U.F. O. Der Titel spielt auf Sullivans Interesse an kosmischen Dingen an, und diese sollen an seinem Verschwinden maßgeblich beteiligt gewesen sein. Schließlich liegt auch das Städtchen Roswell in New Mexico, und dort soll 1947 ein Ufo gelandet sein. Von diesem Klassiker der Verschwörungstheorie bis zur Entführung Sullivans von Aliens waren es nur wenige Joints.
Doch U.F.O. überzeugt auch ohne tragische Geschichte. Es ist ein funkelnder Mosaikstein aus einer fruchtbaren Zeit der Popkultur. Sich dieser Musik über Vergleiche zu nähern würde ihr ihre Originalität absprechen. Wäre nicht gerecht. Man sollte sich einfach von ihr entführen lassen - aber nicht gleich ins Nirgendwo. (Karl Fluch, DER STANDARD - Printausgabe, 8./9. Jänner 2011)