Beat Wyss: "Bilder von der Globalisierung. Die Pariser Weltausstellung 1889". € 49,90 / 285 Seiten. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2010

Coverfoto: Insel Verlag

Das Buch des Kunsthistorikers Beat Wyss über die Pariser Weltausstellung 1889 verdankt sich einem Zufall. Der Direktor eines Archivs schenkte dem Studenten Wyss ein Konvolut von 80 reich illustrierten Heften der Zeitschrift Le Journal. L'Exposition de Paris 1889, weil diese nicht zum Aktenbestand und zur Aufgabe des Archivs passten. Bei den Bildern handelt es sich um Holzstiche und um Druckgrafik von einer Qualität, die den Titel des Buches rechtfertigt: Bilder der Globalisierung. Die Texte stammen von Journalisten, für die die Überlegenheit der europäischen Kultur so etwas wie einen Naturtatbestand darstellte. Sie reproduzierten, wie Wyss sagt, im Wesentlichen "die Vorurteile der Zeit. "

Versierter Unternehmer

Die Weltausstellung dauerte vom 5. Mai bis zum 31. Oktober 1889 und wurde von rund 32 Millionen Menschen besucht. Bei der ersten Weltausstellung 1851 waren es noch sechs, bei jener von 1900 bereits 50 Millionen. Das Wahrzeichen der Ausstellung von 1889 - der Eiffelturm - entstand innerhalb von 26 Monaten nach den genialen Ideen der beiden Ingenieure Maurice Koechlin und Émile Nougier, denen der in Geschäftsdingen sehr versierte Großunternehmer Gustave Eiffel die Patente abkaufte.

Als Bauherr fungierte eine Aktiengesellschaft, die zur Hälfte Eiffel gehörte. Die Nutzungsrechte am Eiffelturm machten die Aktionäre und Eiffel reich. Erst 1980 gingen diese Rechte vollständig an die Stadt Paris über. Man kann Wyss darin nur zustimmen, dass es sich beim Eiffelturm auch um "ein Gesamtkunstwerk liberaler Ökonomie" handelt.

Die Weltausstellung galt auch als Hundertjahrfeier der Französischen Revolution. Deshalb verweigerten die europäischen Monarchien eine offizielle Teilnahme und beschränkten sich auf die Unterstützung von privaten Initiativen, die in Paris landeseigene Produkte und Kunstwerke ausstellten. Insgesamt ist die Expo 1889 ein Dokument des "ungebrochenen Fortschrittsglaubens und kolonialen Optimismus". Carl Benz präsentierte einen Vorläufer des Automobils auf drei Rädern, Thomas A. Edison eine elektrische Glühlampe und - als Sensation - seinen Fonografen.

Viel größeren Zulauf als die Maschinenhalle mit neuesten technischen Erfindungen erlebten jedoch die Darstellungen exotischer Länder und Kulturen - vor allem der französischen Kolonien, eine Straße mit kulinarischen und unterhaltenden Darbietungen von Tanz- und Folkloregruppen sowie die 44 Pavillons zur "Geschichte der menschlichen Behausung". In allen diesen Inszenierungen herrschte eine ungebrochene europäische Fremdwahrnehmung mit einer deutlichen Hierarchisierung zwischen "denen da unten" und "uns da oben."

Überheblicher Blick

Die französischen Kolonien in Indochina und Afrika wurden harmonisch dargestellt, so als ob Gewalt bei ihrer Eroberung und Verwaltung keine Rolle gespielt hätte. Gerade die Darstellung der vermeintlich "zivilisatorischen Mission" Frankreichs in Asien und Afrika wirkte wie ein "Stabilisator" (Wyss) für die noch junge und keineswegs gefestigte Dritte Republik, die ständigen monarchistischen und populistischen Attacken ausgesetzt war.

In "Völkerschauen" dominierte die Überheblichkeit der Weißen den Blick auf das exotisch Andere: "Der Wilde war das überlebende Fossil einer anthropologischen Vergangenheit, die zu überwinden war." Die Kommentare der zeitgenössischen Journalisten sprechen in dieser Hinsicht eine mehr als deutliche Sprache: "Die Inder trommeln von Zeit zu Zeit auf ihren verschiedenartig geformten Trommeln, die Spanierinnen schlagen das Tamburin und tanzen. Die Chinesen tun gar nichts."

Charles Garnier, der Erbauer der Pariser Oper, fungierte als Berater bei der Errichtung der Pavillons zur "Geschichte der menschlichen Behausung". Sein Credo lautete: "Sage mir, was für ein Haus du bewohnst, wie du dein privates Leben eingerichtet hast, und ich sage dir, welche Sitten du pflegst, wie es um deine geistige Entwicklung steht und welchen Rang du in der menschlichen Gesellschaft einnimmst." In der Nähe des Eiffelturms als der Krone des Fortschritts errichtete man in diesem Geiste eine Geschichte des Wohnens von den Höhlenbewohnern über die "Hütten der Wilden" und die Zelte der "Rothäute" bis zu den Häusern, Villen und Palästen der "Zivilisierten" entlang der Kategorie "Rasse."

Soweit Wyss beschreibend verfährt, ist ihm ein eindrückliches und obendrein informatives Panorama der Weltausstellung gelungen. Wo er jedoch das Bild- und Textmaterial in ein vermeintlich der Erklärung dienendes, theoretisches Korsett zwängt, enttäuscht das Buch durch Improvisationen.

Banale Etikettierungen

Das beginnt damit, dass der Kunsthistoriker Wyss ausgerechnet Peter Sloterdijks Phrasen- und Blasenromane als Interpretationsschlüssel der Globalisierung bemüht oder den höchst problematischen Begriff "nationale Identität" affirmativ verwendet und kurz danach als durchsichtiges ideologisches Konstrukt, also kritisch, gebraucht. Immer wieder gerät er auch ins Fahrwasser banaler modischer Etikettierungen, etwa wenn er architektonische Artefakte als "genetischen Kode der Weltkulturen" frisiert. Solcher Attitüde entspringt auch manche anachronistische Zuschreibung. Manet etwa nimmt wegen seines "hedonistischen Lebensstils in guter Gesellschaft die Popkultur des späten 20. Jahrhunderts" angeblich vorweg. Wyss stürzt vollends ab, wenn er ins stammelnde Assoziieren gerät.

Aus der Assoziationskette: Eisen - Kanonen - Eisenbahn - Erster Weltkrieg bastelt er mit zwei Sätzen einen Kausalnexus mit dem "millionenfachen Mord in den Konzentrationslagern" und erklärt das Ei- sen zur "Aufmarschachse der Vernichtung" und den Eiffelturm im Handstreich zum doppelten Gesamtkunstwerk erstens der "liberalen Ökonomie und zugleich der Biopolitik im Modell." Um dem Eisen die Mitverantwortung und dem Eiffelturm die Modellierung des Jahrhundertverbrechens andichten zu können, muss man vorher die Augen der Leser mit Phrasen wie "Biopolitik" verkleben. Warum bewahren Verlagslektoren Autoren eigentlich nicht vor intellektuellem Selbstmord? (Rudolf Walther/DER STANDARD, Printausgabe, 8./9. 1. 2011)