Spätestens seit den 1990er-Jahren warnen die Israelis vor der iranischen Atombombe, der geschätzte Zeitpunkt, bis zu dem man noch etwas dagegen tun könnte, wurde aber immer wieder nach hinten verschoben. Mit der Prognose, dass der Iran nicht vor 2015 imstande sein wird, Kernwaffen zu produzieren, hat nun der scheidende Mossad-Chef Meir Dagan die Debatte über einen möglichen israelischen Angriff noch in diesem Jahr praktisch beendet. Dagan war seit 2002 Leiter des israelischen Auslandsgeheimdienstes und ist turnusmäßig durch seinen bisherigen Stellvertreter Tamir Pardo abgelöst worden. In verschiedenen Abschiedsauftritten hat der jetzt fast 65-jährige Dagan seine lange Amtszeit zusammengefasst und Bewertungen der gegenwärtigen Lage abgegeben.

Der Iran versuche zwar weiter, sich mit Kernwaffen auszurüsten, sagte Dagan, doch das Programm sei durch eine Serie von technischen Schwierigkeiten und auch durch Uneinigkeit in der iranischen Führung um Jahre verzögert worden. Es gebe daher keinen unmittelbaren Grund für Israel, iranische Einrichtungen militärisch anzugreifen, man solle vielmehr weiter durch stille Methoden versuchen, den Iran zu einer Haltungsänderung zu zwingen.

In den letzten Monaten war der Mossad etwa spekulativ mit dem Computerwurm "Stuxnet" in Verbindung gebracht worden, der zehntausende Rechner im Iran befallen und insbesondere Zentrifugen in den Uran-Anreicherungslagen sabotiert haben soll. Auch bei Anschlägen gegen Atomphysiker im Iran dachte man an Dagans Agenten. Dieser scheint nun die Signale israelischer Politiker zu bestätigen, wonach Israel der abwartenden Iran-Politik der USA eine Chance geben wolle. Dagan selbst hatte sich schon zuvor für politischen Druck und härtere Wirtschaftssanktionen gegen den Iran ausgesprochen, wie aus Wikileaks-Dokumenten hervorging. Speziell müsse die Lieferung von Komponenten unterbunden werden, die für die Herstellung von Kernwaffen benützt werden könnten. Parallel müsse man das Ayatollah-Regime unterminieren, etwa durch Verstärkung der Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen im Iran.

Dagan wird in Israel dafür gelobt, dass er in dem durch verschiedene Pannen angeschlagenen Mossad wieder Ordnung gemacht und viele heikle Geheimoperationen initiiert habe.

Die EU schlug indes eine Einladung Irans zum Besuch seiner Atomanlagen aus: Es sei Aufgabe der IAEO und nicht einzelner Länder, die Anlagen zu inspizieren. (Ben Segenreich aus Tel Aviv/DER STANDARD, Printausgabe, 8.1.2011)